Vier Kommentare

Manchmal kommentiere ich die Texte anderer Leute – machen wahrscheinlich fast alle im Netz. Mal ist es wichtig, mal egal, mal lustig, mal ist es viel und trotzdem nicht genug für einen Blogpost, mal nur eine Frage, manchmal trollig oder wütend, hin und wieder auch freundlich. Hier in Adrians Blog antworte ich viel zu langsam auf Kommentare, was ziemlich blödsinnig ist in Hinblick darauf, dass ich ja bei Leuten was bewegen möchte. Die Wenigen, die mit mir reden, sollte ich dann eigentlich mehr bei der Stange halten. Eigentlich wollte ich jetzt aber über Kommentare bei anderen schreiben, genauer gesagt die letzten vier Kommentare, die ich schrieb. Sie hängen eigentlich nicht zusammen, sind zu unterschiedlichen Themen an unterschiedlichen Stellen in unterschiedlichen Stilen und bis auf den Umstand dass sie von mir und auf deutsch geschrieben wurden verbindet sie formal vermutlich wenig. Für mich stehen sie jedoch in einem Zusammenhang, darum will ich sie hier kurz ansprechen.

Der (nicht zwangsläufig chronologisch) erste der Kommentare ist ein freundlicher Hinweis bei Wolfgang Dudda, in dem ich ihn auf eine falsche Verwendung des Begriffs „Wikipedia“ hinweise. Normalerweise hätte ich ihm das nicht geschrieben, ja nicht mal seinen Text gelesen, aber Trias kommentierte den Fehler mit der Behauptung, Wolfgang hätte sich damit als Bundesvorstand einer Netzpartei blamiert. Das ist irgendwie richtig und irgendwie eine Aussage, die ich ähnlich vermutlich auch getroffen hätte, schließlich habe ich die Begriffsverwirrung zwischen „Wikipedia“ und „Wiki“ schon als Wikipedianer ebenso wie als Wiki-Software-Entwickler zu spüren gekriegt, mich gemeinsam mit anderen drüber geärgert oder lustig gemacht und sie als Zeichen der omnipräsenten Medieninkompetenz gesehen. Ich habe vermutlich schon Leute deswegen für dumm gehalten, dumm genannt, als dumm beschimpft – es würde mich nicht mal wundern, wenn sich ein Blogpost finde würde, indem ich genau diesen Fehler bei der Piratenpartei kritisiere. Obwohl ich nicht nur prädestiniert dafür bin, sondern auch gezeigt habe, dass ich der entsprechenden Neigung gerne nachgehe, fühlte es sich in diesem Moment falsch an. Furchtbar falsch.

Den zweiten Kommentar kann ich nicht verlinken, weil er nicht freigeschaltet wurde. Es handelt sich um den Einzeiler „Die FIXMBR-Gang: Rassismus 2.0“ zum Artikel „Die Flattr-Gang: die Rumänen-Gang 2.0“ auf F!XMBR. Ich könnte jetzt selbstkritisch anmerken, dass ich Menschen (Den F!XMBR-Autor_innen) eine Eigenschaft (Rassismus) zuschreibe, anstatt diese Eigenschaft ihrem konkreten Verhalten zuzuordnen. Das ist großer Mist, nicht nur, weil es den Angesprochenen die Ablehnung des Vorwurfs erleichtert, wie ich im letzten Blogpost erläutere, sondern auch, weil es scheiß Verhalten ist.

Was mir aber eigentlich durch den Kopf geht, bzw. was mich mitgenommen hat, war, wie der Autor und einer seiner Kollegen damit umgingen: Da war keine Beschäftigung mit mir, sondern nur Ausschluss, Ablehnung, »Wir gegen sie« (bzw. »Wir gegen ihn«). Die Position war so eindeutig, dass nicht mal inhaltliche gegenseitige Bestätigung erfolgen musste; der Vorwurf war albern, also amüsieren wir uns über, oder besser noch: anhand des Vorwurfs. Ich bin es gewöhnt, dass meine Positionen nicht gerade auf große Zustimmung in der virtuellen Gesellschaft stoßen (sofern sie überhaupt wahrgenommen werden), und ich sehe durchaus eine grundsätzliche Notwendigkeit dafür, manche Positionen ohne weitere Erörterung abzulehnen, um handlungsfähig zu sein und um nicht immer wieder hinter erreichte Diskussionsstände zurückzufallen. Trotzdem war diese zur Schau gestellte, ignorante Hegemonialität verletzend – unabhängig davon, dass es sich bei dem Blogpost immer noch um rassistischen Scheiß handelt, wie andere auch bemerkten.

Auch beim dritten Kommentar geht es um Hegemonialität. Vor ein paar Wochen hatte die Junge Union Berlin den Vorschlag, den Zugriff auf Pornografie zu sperren. Das ist keine besonders neue Idee, sondern eher eine der vielleicht fünf relevanten Richtungen (Pornografie, Glücksspiel, „Extremismus“, Kinderpornografie, Urheberrecht), über die die Durchsetzung von Netzsperren zu erwarten ist. Was kam, war ein Shitstorm (Netzenglisch für aggressiv dargelegte Hegemonie). Was wie üblich fehlte, war eine Auseinandersetzung mit dem Thema, die dringend nötig ist, wenn wir den Freiraum Internet usw. – was ich halt seit über einem Jahr schreibe. Wie für einen Shitstorm üblich, wurde die politische Hygiene etwas schleifen gelassen – die JUler_innen sind halt dumm, Kinder, krank, ihnen ist zu heiß, sie haben keine Ahnung vom Netz und was es dergleichen noch an fundierten und vorurteilsfreien Kritikpunkten gibt.

Nicht, dass Kritik immer freundlich und sachlich sein müsste, manchmal sind andere Formen lustiger, treffender, effektiver, wahrer, manchmal ist die Kritik der Kritik formalistisch verpackte reaktionäre Scheiße und MANCHMAL HABEN SICH NAZIS UND NEOLIBERALE NICHT FÜR MITLEID, FAIRNESS ODER SACHLICHE AUSEINANDERSETZUNGEN QUALIFIZIERT. Manchmal. Manchmal besteht politische Praxis aber auch nachhaltig nur aus dumpfem Gepolter und die entsprechenden Genoss_innen / Pirat_innen stehen von mir aus gesehen schneller auf der anderen Seite der Barrikade / des Shitstorms als ich trollen kann. Im vorliegenden Fall wurde die mäßig sachliche Diskussion durch einen zweiseitigen Scan aus der Bravo angereichert, auf dem eine Funktionärin der Jungen Union nackt zu sehen war – denn wer politisch schon indiskutabel ist kann ja wenigstens noch geil sein.

In diesem widerlichen Setting ist mein dritter Kommentar zu lesen: Das Thema war seit vier Tagen auf und so langsam wieder vom Tisch und ich hatte mich mit dem ekligen heteromännlich-rechthaberischen Konsens abgefunden. Reichlich spät also kommt der Kommentar der Mädchenmannschaft zum Thema, irritierend spät, da es nicht nur im Diskurs feministisch zu beantwortende Ereignisse gab, sondern auch, weil die Junge Union selbst ihren Vorstoß mit Frauenfeindlichkeit begründete. Was es zu lesen gab, war aber keine Auseinandersetzung mit diesen Punkten, sondern eine knappe Reproduktion des Diskurses, der mich vorher so angekotzt hatte. Nichts weiter. Und auch nach meinem Kommentar kam nichts mehr. Beachtlich ist daran nicht nur meine Hilflosigkeit, sondern mehr noch mein Anspruch, irgendeine Instanz müsste doch mal meine Position vertreten – da hab ich mich wohl selbst vom Internet-Mythos der Wirkmächtigkeit, der Dynamik und des Pluralismus einlullen lassen.

Auch bei meinem letzten Kommentar geht es um Hilflosigkeit. Was ich bei solchen Shitstorms und angesichts solcher Hegemonie empfinde, erinnert mich an das, was ich im Hinblick auf Duisburg empfinde. Bei aller fehlenden Vergleichbarkeit ist die emotionale Struktur bei mir eine ähnliche, auch wenn das eine mich nur ein paar Tage ärgert und das andere Potential hat, eine Generation zu prägen. Sehr lesenswert zu Duisburg ist übrigens „Schuld und Abwehr nach der Massenpanik“, dem ullih noch hinzuzufügen hatte, dass das Ereignis ein riesiges Ausmaß an Obrigkeitsglauben offenbar werden ließ. Zurück zu meinem vierten Kommentar, den ich im Acidblog hinterließ. Acid wies in dem Beitrag zurecht darauf hin, dass unsere Aufmerksamkeitsverteilung zum Kotzen ist, und wurde dafür von Nerdcore als „Menschenlebensaufrechner“ bezeichnet.

So, das wars: Vier Kommentare, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

4 Antworten auf „Vier Kommentare“

  1. So schnell wird man Thema in einem Blog :).

    Zu meinem Tweet: ja aus jetziger Sicht sehe ich ihn auch als falsch an. Nur es war das was ich damals gedacht, hatte, für einen kurzen Moment, und ich wollte das teilen. Ich habs mit der gesamten Welt geteilt und mit der gesamten Zukunft.. eine Eigenschaft des Internets. Das mag jetzt vielleicht arrogant klingen, aber eine Eigenschaft des Internet ist es, dass wir Konversationen die wir sonst eher offline oder in bestimmten Kreisen geführt haben, öffentlich werden. Mit Vor- und Nachteilen. Wird mein Tweet dadurch richtiger? Nein, sicher nicht.

  2. „menschenlebenaufrechner“, meine fresse, sollte es nicht jedem klar sein das das einfach notwendig ist?
    ich meine klar ist der gedanke nicht schön aber aber es ist vernünftig im zweifelsfall lieber einen als 2 menschen in gefahr zu bringen (die direkte möglichkeit jemanden zu töten wird glücklicherwesie ziemlich selten in betracht gezogen).

    spätestens bei freunden oder eine=m selbst, wird einem wohl weder das rechnen noch das nichtrechnen interessieren.

  3. die sache im fixmbr-blog würd ich eher als leichten nationalismus bezeichnen.
    es geht hier ziemlich klar um das konstrukt der ’nation‘ bzw geopolitische einflüsse nicht um das einer ‚rasse‘ bzw biologische einflüsse.
    das ganze hängt sicherlich zusammen, aber rassismus und sexismus tun da ja auch…

  4. Das mit den Kommentaren geht mir genau so und ich habe da auch ähnliche Schuldgefühle. Andererseits denke ich mir aber auch, wer Texte wie z.B. jene in unseren Blogs liest, hat auch ein bissl Geduld, was die Antwort auf den Kommentar angeht.

    Die Jungs von Fixmbr trollen einfach und bashen viel zu gerne. Menschlich erscheinen mir die beiden bei identi.ca durchaus symphatisch, deshalb folge ich ihnen dort auch, aber ich lese das Blog bewußt nicht.

    @sofias: Das mit dem Menschenlebenaufrechnern ist ja gerade nicht jeden klar. Ich bekomme aber auch immer mehr das Gefühl, das es ein verstecktes Totschlagargument gegen Imperialismuskritik darstellen kann.

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