Die Piratenpartei: Kritik, Einblick, Ausblick

Mein Verhältnis zur Piratenpartei ist zwiespältig; ich bin eines der ersten Mitglieder gewesen, jedoch ruht meine Mitgliedschaft beinahe seit Gründung. Zu marktliberal, zu ahnungslos, zu uninteressiert an wichtigen Themen, zu eigennützig scheint die Bewegung. Von einer anderen Politikkultur ist gleich gar nichts zu spüren – wenn die Piratenpartei einmal im Verhalten nicht mit dem politischen Establishment gleichzieht, dann nur aus Mangel an Fähigkeiten. Die Vermarktung des nicht aus sich heraus politische Inhalte transportierenden Namens „Piratenpartei“ findet nicht grundsätzlich anders statt als jene der ebenso inhaltsarmen Etiketten „Grüne“, „Linke”, „SPD“. Das steht dem Selbstverständnis als völlig neue Politikkultur, als Bewegung von Menschen, die sich nicht von Politikern, Polemik und Medien lenken lassen, entgegen.

Auf der anderen Seite ist die Piratenpartei (als einzige nicht-sozialistische Partei) auf Antifa- und Freiräume-Demos und -Festen in Friedrichshain und Kreuzberg aktiv und macht zur Zeit auch eine inhaltlich brauchbare Wahlwerbung. Einige Themen besetzt keine andere Partei glaubhaft, auch wenn Grüne und Linke sich etwas Mühe geben, aber vermutlich im Zweifelsfall vor ihren konservativen Flügeln oder ihrem konservativen Koalitionspartner kapitulieren würden. Im Vergleich zu anderen Parteien sind auch die Strukturen noch wesentlich offener und basisdemokratischer. Die Bewegung – oder zumindest der Berliner Teil – bleibt für mich also trotz aller Bedenken interessant. Ich möchte daher im folgenden so etwas wie für mich überzeugende Grundsätze einer Piratenpartei vorstellen:


Pirat_innen kämpfen ihrem Selbstverständnis nach für die Freiheit aller Menschen. Freiheit ist die Möglichkeit, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sexueller Ausrichtung, sozialer Abstammung und sonstigen Faktoren ein selbstbestimmtes kulturelles, wissenschaftliches, politisches und soziales Leben zu führen und dabei nicht staatlich bevormundet, eingeschränkt oder überwacht zu werden. Die Einschränkungen dieser Freiheit sind jedoch nicht nur staatliche und rechtliche, sondern auch faktische, also solche, die bsw. in Kultur und Gesellschaft begründet liegen. Gegen diese richtet sich die politische Arbeit gleichermaßen.

Eine der wichtigsten Grundlagen der Freiheit ist eine Bildung, die den Interessen der Lernenden folgt. Nur unter solchen Bedingungen können Menschen überhaupt die bsw. rechtlich zugesicherten Freiheiten wahrnehmen. Nur unter solchen Bedingungen kann überhaupt von „Freiheit“ gesprochen werden. Wo eine Hälfte der Menschen sprachlich ignoriert wird, wo eine Person aufgrund des Geschlechts wesentliche Hindernisse bei ihrer Entfaltung überwinden muss, kann ebenfalls keine Freiheit vorliegen.

Pirat_innen sehen ihre Arbeit auch als Interessenvertretung jener an, die keine Stimme in der Mediendemokratie haben. Dazu zählen Menschen im Ausland und solche Menschen im Inland mit der „falschen“ Herkunft oder dem „falschen“ Alter, denen nicht einmal formal das aktive Wahlrecht gewährt wird. Dazu zählen auch ungeborene Menschen, die in Zukunft unter unserem Lebensstil leiden werden, und Gruppen, die zwar formal wahlberechtigt sind, aber keine Öffentlichkeit finden.


Neben diesen Grundsätzen wäre auch eine etwas andere Auswahl an aktiv bearbeiteten Themen nötig; im Konkreten zumindest ein bisschen mehr Umweltschutz, Internationalismus und soziale Wirtschaftspolitik. Jenseits der politischen Inhalten sehe ich bei der Piratenpartei zwei wesentliche Probleme; Einerseits wird – wie bei Nerds üblich – eine herrschende Diskriminierung von Frauen geleugnet. Das ist besonders verfehlt in einer Szene, in der selten mehr als ein Viertel Frauen, häufig deutlich weniger, vertreten sind. Dabei werden die faktischen kulturellen und gesellschaftlichen Einschränkungen mit Hinweis auf eine formale Offenheit der Partei für alle Interessierten verleugnet. Ein solches Verhalten ist jedoch nicht Ausdruck einer postsexistischen Haltung, sondern manifestiert sexistische Diskriminierung. Parteiintern müsste daher vermutlich eine Geschlechtsquotierung für Ämter, in jedem Fall aber erstmal das Anerkennen des Problems und ein klares anti-antifeministisches Bekenntnis her.

Ein weiteres Objekt meiner Kritik ist die große Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Praxis. Wie schon viele Generationen vor ihr denkt auch diese Bewegung, die Politik völlig verändern zu können. Wie schon viele Bewegungen vor ihr wirft auch diese dem Establishment Verlogenheit, Rückständigkeit und Opportunismus vor. Dabei wird jedoch keine Analyse der Ursachen vorgenommen, sondern von einem individuellen Scheitern der Politiker ausgegangen – nicht das System führt zwangsläufig zu seinem Erhalt, sondern die Akteure. Im Umkehrschluss wird davon ausgegangen, dass die Piratenpartei, in ihrer Selbstwahrnehmung ehrlich, fortschrittlich, basisdemokratisch und sachorientiert, diese Probleme überwinden wird. Dieses Gefühl verbinden viele Mitglieder mit einem Rationalismus, also der Vorstellung, es könne „frei jeder Ideologien auf Fakten basierend das Optimum [bestimmt] und danach [gehandelt]“ (Diese Formulierung stammt aus dem Text „Wo steht die Piratenpartei?“, in dem ich einen Teil dieser Analyse bereits vorwegnahm und den vorliegenden indirekt ankündigte) werden. Es ist wohl unnötig zu betonen, dass ich diese Analyse des politischen Systems für naiv und die Selbstwahrnehmung für Überschätzung halte.

Ich würde mir daher als zweiten Hauptpunkt für die interne Veränderung wünschen, dass die Piratenpartei einerseits ihre Selbstwahrnehmung und andererseits die Praxis etwas aufeinander zulaufen lässt. Weniger Polemik, weniger Übertreibungen bei dem Feiern von Mitgliederzahlen, lächerlichen Wahlergebnissen, weniger Show, mehr Basisdemokratie (Wie wäre es mit dem Schreiben von Pressemitteilungen im Wiki?), mehr Inhalte, mehr Aktion statt Reaktion.

Was haltet ihr von meiner Analyse, meinem Vorschlag, meinen Zielen? Besteht eine Möglichkeit, diese umzusetzen, und wenn ja, in welcher Form?

Um es deutlich zu machen: Menschen, die ihre Wahlentscheidung ausschließlich von der Position der Parteien zu Internetsperren und verwandten Themen abhängig machen, sind für mich kein politischer Partner, sondern der politische Feind. Für die Rettung des eigenen Arsches steht seit 60 Jahren die FDP zur Verfügung und macht für ihre Klientel einen wohl brauchbaren Job.

Ich möchte mich besonders bedanken bei Ritinardo für die Formulierung vieler meiner Bedenken gegenüber der Piratenpartei (Der Beitrag „Piratenpartei und Frauen“ sei als ein Beispiel genannt) und bei Antje Schrupp für den Text „Kann eine Feministin Piraten wählen?“, bei Julia Seeliger für ihre Fragen „Böll Wahlblog: Piratenpartei WTF??“ sowie bei Danilo Vetter für „warum ich keine piratenpartei wählen werde, aber im herzen ein_e pirat_in bin“. Die Reaktionen auf die drei letztgenannten Posts motivierten mich dazu, diesen Text (weiter) zu schreiben. Als letzte Empfehlung sollten insbesondere jene, die dort kommentiert haben oder den Tenor der dortigen Kommentare hier weiterführen möchten einige wenige Minuten auf Derailing for Dummies werfen, eine Seite, die einen Großteil dieser Argumentation prägnant und unterhaltsam demaskiert.

22 Antworten auf „Die Piratenpartei: Kritik, Einblick, Ausblick“

  1. Ein sehr guter Beitrag, der einige meiner Bedenken gegenüber den Piraten formuliert, Dankeschön! :)

    Ich bin noch nicht so lange wie du dabei, bin nach der Europawahl rein geschwappt,,, aber das kann man auch alles in meinem Blog lesen ;)

    Ich denke jedenfalls, dass es sehr schwer werden wird. Basisdemokratie erfordert von allen Teilnehmern ein hohes Maß an Weitsicht, Disziplin und Geduld. Und bei meinen bisherigen Eindruck von Mitpiraten ist derlei leider nicht häufig anzutreffen.
    Des weiteren muss aufgepasst werden, dass nicht einzelne die Piratenpartei dafür nutzen sich selbst zu profilieren und ein Klüngelgeflecht zu sähen, so lange die Partei noch frisch ist und konfus vorgeht.

    Es ist wichtig, dass wir erst einmal ein Bewusstsein innerhalb der Piratenpartei dafür schaffen, dass eine basisdemokratische Organisation harte & lohnenswerte Arbeit ist die von einer Partei noch nicht umgesetzt wurde.

  2. den dank kann ich nur zurückgeben. ich finde du hast da auch einige wichtige aspekte hinzugefügt. ich denke tatsächlich es fehlt zunächst einmal oft an der problemerkenntnis. von daher ist die ablehnung der kritik von aussen dann oft nur logisch.

  3. Ich sehe in der Piratenpartei immer noch eine gewisse Hoffnung. Die benannten Defizite sind ohne Zweifel da – andererseits ist die Partei noch sehr jung. Ich persönlich gebe den Piraten noch Schonfrist bis zur Bundestagswahl, bis dahin betrachte ich die Piratenpartei noch als eine Hoffnung für freie Entfaltung.

    Nach der Bundestagswahl aber ist das vorbei, speziell nach dem explosionsartigen Wachstum der letzten Wochen. Eine Partei die nach Mitgliedern schon langsam in der Liga der etablierten mitspielen kann, darf sich nicht länger auf dem Neuheitsbonus ausruhen, und eine Partei die Mandate gewinnen kann, darf nicht länger ihre prinzipielle Ausrichtung abseits der Kernthemen verschweigen. Ich werde nicht auf die Dauer die Katze im Sack wählen.

    Daher erwarte ich von den Piraten nach der Bundestagswahl die Erweiterung des Programms. Da muss nicht eine ausgefeilte Patentlösung für die gesamte Wirtschaft her, aber eine allgemeine Ausrichtung sollte beschlossen werden.

    Ich erwarte dann auch ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten, indem diese im Grundsatzprogramm aufgenommen werden. Eine Partei die dies nicht schafft ist ebenfalls unwählbar für mich.

  4. das bringt meine ansichten auf den punkt. vielen dank. ich war bisher zu faul meine meinung zu der piraten aufzuschreiben, jetzt kann ich das verlinken, wenn mich jemand fragt.

    wahrscheinlich sind die piraten nicht viel mehr als eine fdp für computernerds. ich gebe ihnen keine hohe lebensdauer.

  5. Ich stimme dir zu, das sind die Punkte die es anzugegehn geht, auch wenn ich dir in den meisten genannten Details nicht zustimmen kann. Das Problem ist hier die Aussenwahrnehmung und das Selbstverständnis differiert stark. Du schreibst ja selbst, dass die lokalen Gruppen richtige Arbeit leisten.

    Das Problem mit der Aussenwahrnehmung ist die Diskussionskultur. Das Internet ist dazu schwierig (mir fällt auch keine Lösung ein, und da ich die Stimmen nicht qua dekret abstellen will muss ich halt damit leben dass ich Mitglieder differezenziert und falsch äußern weil keiner so klar definieren kann was richtig ist).

    Ansonsten: ja im Wahlkampf kam die Polemik hoch, scheint notwendig zu sein und macht verdammt Spass .) Aber es gibt ja auch noch andere Ebenen in der Partei. Z.B. Arbeitsgruppen zu Positionen wie Gender, GBLF, Außenpolitik, Sozialpolitik und Ökologie.

    Was das Thema Gleichberechtigung angeht, so sind die Piraten sicher durch Personengruppen (Geeks) oder Generationen geprägt die kein Gespühr für die feministischen grundlagendiskussionen haben. Das ist durchaus für den Feminismus ein Problem dass er nicht mehr so wichtig genommen wird. Gleichzeitig muss man aber anerkennen dass die neuen Generationen auch viel selbstverständlicher Rollenverständnisse ablehnen (es Ihnen deswegen schwer zu vermitteln ist). Für eine Frau jedenfalls sind die Piraten ein angenehmes Betätigungsfeld – und ich denke Sie können hier auch den Feminismus wieder stärker ins Bewusstsein rücken. Aber bitte nicht mit Grabenkämpfen in Syntax – dazu sind die meisten Piraten wohl zu nüchtern.

    Und zum System noch abschliessend eine Meinung: es ist eine gefährliche Tendenz dass die Piraten sich auch etablieren werden statt etwas an den Grundvoraussetzungen an der Gesellschaft zu ändern (es wird schon von Berufspolitikern gesprochen). Auch sind Piraten recht unreflektiert bei den eigenen Fehlern (die Gründe als Entschuldigung werden für sich selbst gelten gelassen, bei anderen aber zieht man darüber her). Grade letzteres muss sich ändern – ist aber auch (wie man an mir sieht) vielen bewusst.

    Gruss
    Bernd

  6. „jedoch ruht meine Mitgliedschaft beinahe seit Gründung”

    und dann Ängst, Sorgern, Befürchtungen? Passivität half nie weiter!!

    Lern draus, bring Dich doch ein und dem bei relevanten Themen, keine Nebenschauplätze. Das wichtige, jeden treffende erkennen und ohne Lamentiererei aktiv sein.

  7. Ich finde es erfreulich, dass die Piraten die angebliche Diskriminierung von Frauen leugnen. Endlich mal eine Partei, die nicht feministisch ist!
    Aber du wirst uns sicherlich aufklären können und uns die „faktischen kulturellen und gesellschaftlichen Einschränkungen“ auflisten können, unter denen Frauen zu leiden haben, nicht wahr.

  8. Ich kann mich mit der Haltung der Piratenpartei bezüglich Sexismus/Feminismus sehr gut identifizieren und bin ehrlich gesagt froh darüber, dass es heute eine progressiv denkende Strömung gibt, die Menschen nicht nach Geschlecht einteilt.
    Was ist Geschlecht überhaupt? Das kann man sicher auf verschiedene Weise beantworten:
    1. Genetisch, nach Chromosomenzusammensetzung.
    2. Äußerlich, nach sichtbaren primären oder sekundären Geschlechtsorganen.
    3. Sozial, nach selbstbestimmter, dem eigenen Fühlen entsprechender Einordnung in die Gesellschaft.

    Was ist dann aber mit Menschen, die andere Chromosomenzusammensetzungen als XX oder XY haben? Mit Menschen, die äußerlich eben nicht eindeutig als „Mann“ oder „Frau“ einzuordnen sind? Mit Menschen, die ihre eigene Geschlechtlichkeit und Individualität als zu komplex begreifen, um sich in einem binären Schema für eine der beiden Seiten entscheiden zu wollen? Was ist mit all den Menschen, bei denen genetisches, äußerliches und soziales Geschlecht eben nicht übereinstimmen?
    Die Welt ist eben kein Schema F und es gibt weit mehr als nur „Männer“ und „Frauen“. Wirkliche Befreiung bedeutet, dieses alte Schema aufzugeben und Menschen einfach als Menschen zu sehen.
    Sexismus bedeutet, einen Menschen aufgrund seines Geschlechts zu beurteilen und dementsprechend auch anders zu behandeln. Wozu sollte man aber einen Menschen nach seinem Geschlecht fragen, wenn es für den gegenseitigen Umgang unerheblich ist? Wieso sollte man überhaupt verlangen, dass sich ein Mensch einem solchen Schema unterordnet? Ist das nicht an sich schon sexistisch? Genau so wie es an sich schon rassistisch ist, einen Menschen zu zwingen, sich als „schwarz“ oder „weiß“ einzuordnen?

    Ich jedenfalls sehe das herrschende Zweigeschlechtersystem an sich als Teil des Problems, als Ursache und auch Indikator einer sexistischen Gesellschaft. Konsequent gegen Sexismus vorzugehen muss also auch heißen, konsequent gegen den männlich/weiblich-Dualismus vorzugehen und das geht ganz sicher nicht über eine Geschlechterquotierung, die eben diesen Dualismus im Denken zementiert und nicht zu einer Verständigung, sondern zu einem Lagerkampf der Geschlechter führt (wer kennt es nicht, das „Den Frauen geht’s doch so gut, die haben’s immer leichter …“ etc.).
    Und ja, ich bin (ganz unabhängig davon, ob und wen ich wähle) froh darüber, dass die Piratenpartei sich gegen den 80er-Jahre-Feminismus etwa der Grünen entschieden hat und für einen wirklich queeren, wirklich unsexistischen Weg.

  9. „Neben diesen Grundsätzen wäre auch eine etwas andere Auswahl an aktiv bearbeiteten Themen nötig; im Konkreten zumindest ein bisschen mehr Umweltschutz, Internationalismus und soziale Wirtschaftspolitik.“

    Sicher, lies dir z.B. den Wahl O Mat durch für eine grobe Richtung. Es wäre allerdings blöd das vor der Wahl anzupacken. Jetzt muss man sich auf ein möglichst gutes Ergebnis konzentrieren, danach hat man 4 Jahre Zeit das besonnen anzugehen und die Mitglieder sinnvoll einzubinden.

    „Jenseits der politischen Inhalten sehe ich bei der Piratenpartei zwei wesentliche Probleme; Einerseits wird – wie bei Nerds üblich – eine herrschende Diskriminierung von Frauen geleugnet. Das ist besonders verfehlt in einer Szene, in der selten mehr als ein Viertel Frauen, häufig deutlich weniger, vertreten sind. Dabei werden die faktischen kulturellen und gesellschaftlichen Einschränkungen mit Hinweis auf eine formale Offenheit der Partei für alle Interessierten verleugnet. Ein solches Verhalten ist jedoch nicht Ausdruck einer postsexistischen Haltung, sondern manifestiert sexistische Diskriminierung. Parteiintern müsste daher vermutlich eine Geschlechtsquotierung für Ämter, in jedem Fall aber erstmal das Anerkennen des Problems und ein klares anti-antifeministisches Bekenntnis her.“

    Das Problem was ich in der Tat sehe ist folgendes (in meinem Ingenieursjahrgang ist es ähnlich):
    Es sind nur wenige Frauen da, dadurch wird es schon mal schwierig diese nicht anders (besser) zu behandeln. Nun sind die wenigen Frauen aber überdurchschnitlich selbstbewusst und unabhängig (weil sich die anderen nicht trauen) und sorgen schon dafür gleich behandelt zu werden.

    Ich glaube diesen Männern, dass sie selber auch am liebsten ausgeglichene Verhältnisse hätten. Und das nicht weil sie den Frauen hinterherhecheln, sondern weil Ungleichgewichte einfach zu Spannungen führen und gelebte Gleichberechtigung erschweren.
    Deshalb reagieren sie auch allergisch wenn man sie schon wegen blossen Abwesenheit von frauen pauschal als Sexisten bezeichnet.

    Aber wie willst du das nun erreichen. Die Universitäten konnten es bisher jedenfalls nicht schaffen obwohl dort in anderen Studiengängen fast nur Frauen sitzen. Wie soll eine neue Partei das nun schaffen, wenn selbst bei massivster Quotenpolitik der Grünen noch 2/3 der Parteimitgleider männlich sind.
    Quoten wirst du bei den Piraten niemals sehen, das würden auch die Piratinnen (die ja nicht mal so genannt werden wollen) ablehnen. Nun kann man aber weil diese wenigen Frauen tatsächlich im Postfemnismus angekommen sind nicht auf alle schliessen und das Problem für erledigt erklären.

    Momentan werden ja in den feministischen Blogs konstruktive Vorschläge für die Piraten gesammelt wie die Partei für Frauen attraktiver gestaltet werden könnte ohne zementierenden Differenzfeminismus (hiess das so, bin nicht mehr sicher?) zu verfallen. Wenn da sinnvolle Sachen bei rauskommen bin ich optimistsch, dass man einen guten Dialog führen kann.
    Dass die Piraten Initiativvorschläge machen darfst du nicht erwarten. Als weisser heterosexueller Mann in einem technischen Beruf stehst du da derart unter Generalverdacht, dass dir aus jeder Aussage ein Strick gedreht wird. Da ist es nur zu verständlich, wenn dieses Minenfeld gemieden wird.

    Du kannst ihnen auch keinen Vorwurf daraus machen, dass ihnen Feminismus aus ihrer persönlichen Lebenserfahrung heraus haupsächlich repressiv und überholt vorkommt. Im Gegenteil, vielleicht kann der Feminismus da auch etwas über seine eigene Aussenwirkung lernen während die Piraten was über ihre Aussenwirkung auf Frauen und Feministinnen im speziellen lernen können.

    Ich bin optimistisch, dass da ein konstruktiver Austausch stattfinden kann wenn man etwas Schärfe aus der Diskusion nimmt.

    Sich von anti-feministen distanzieren?
    Ich muss sagen, das was ich da bis jetzt in den Kommentaren lesen konnte war polemisch, zynisch und verbittert aber noch meilenweit von dem entfernt was ich mir unter Frauenhass vorstelle. Verbitterte Menschen gibt es überall.
    Wie wär es wenn man sich im positiven zu den Zielen des Feminismus bekennen würde statt sich im Negativen von ihren Gegenern zu distanzieren. Natürlich nicht zu allen Zielen, weil es „den Feminismus“ ja sowieso nicht gibt.

    Dann könnte man versuchen sich in den Bereichen in denen Frauen benachteiligt sind zu engagieren und gleichzeitig aber auch in denen wo Männer Nachteile haben (zu wenig männliche Grundschullehrer als Bezugsperson, Wehrdienst, evtl Sorgerecht). Wenn man da mal guten Willen zeigen würde und auf beide Seiten zugeht werden auch die anti-feministen versönlicher.
    Dialoge statt Distanzierungen

    „Ein weiteres Objekt meiner Kritik ist die große Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und Praxis. Wie schon viele Generationen vor ihr denkt auch diese Bewegung, die Politik völlig verändern zu können. Wie schon viele Bewegungen vor ihr wirft auch diese dem Establishment Verlogenheit, Rückständigkeit und Opportunismus vor. Dabei wird jedoch keine Analyse der Ursachen vorgenommen, sondern von einem individuellen Scheitern der Politiker ausgegangen – nicht das System führt zwangsläufig zu seinem Erhalt, sondern die Akteure. Im Umkehrschluss wird davon ausgegangen, dass die Piratenpartei, in ihrer Selbstwahrnehmung ehrlich, fortschrittlich, basisdemokratisch und sachorientiert, diese Probleme überwinden wird. Dieses Gefühl verbinden viele Mitglieder mit einem Rationalismus, also der Vorstellung, es könne „frei jeder Ideologien auf Fakten basierend das Optimum [bestimmt] und danach [gehandelt]“ (Diese Formulierung stammt aus dem Text „Wo steht die Piratenpartei?“, in dem ich einen Teil dieser Analyse bereits vorwegnahm und den vorliegenden indirekt ankündigte) werden. Es ist wohl unnötig zu betonen, dass ich diese Analyse des politischen Systems für naiv und die Selbstwahrnehmung für Überschätzung halte.“

    Sie sind halt jung, lass sie sich ein bisschen austoben. Viele sind erst vor kurzem politisiert worden (auf die harte Tour, weil sie merkten wie sehr man sie verarscht) und haben direkt die unterschwellig langersehnten Gleichgesinnten gefunden. Jetzt sind sie enthusiastisch, gönns ihnen doch. Sie werden schon nicht allzu schlimm abheben.

    „Ich würde mir daher als zweiten Hauptpunkt für die interne Veränderung wünschen, dass die Piratenpartei einerseits ihre Selbstwahrnehmung und andererseits die Praxis etwas aufeinander zulaufen lässt. Weniger Polemik, weniger Übertreibungen bei dem Feiern von Mitgliederzahlen, lächerlichen Wahlergebnissen, weniger Show, mehr Basisdemokratie (Wie wäre es mit dem Schreiben von Pressemitteilungen im Wiki?), mehr Inhalte, mehr Aktion statt Reaktion.“

    Also die Basisdemokratie konnte nicht direkt mit der neuen Grössenordnung mithalten (wie auch), das gilt es nach der Wahl zu restaurieren. Show und Optimismus sind momentan nötig, das legt sich nach der Wahl, dann kann man sich praktischen Dingen widmen. D

    Die Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse sind allerdings nicht lächerlich sondern beeindruckend. 3 Monate hat es gebraucht die Rechten zu überholen. In Aachen liegt man vor der FDP. Das sollte dich doch freuen oder?

    „Was haltet ihr von meiner Analyse, meinem Vorschlag, meinen Zielen? Besteht eine Möglichkeit, diese umzusetzen, und wenn ja, in welcher Form?“

    Mit Quoten wirst du auf Granit beissen, beim Rest bin ich optimistisch.

    „Um es deutlich zu machen: Menschen, die ihre Wahlentscheidung ausschließlich von der Position der Parteien zu Internetsperren und verwandten Themen abhängig machen, sind für mich kein politischer Partner, sondern der politische Feind. Für die Rettung des eigenen Arsches steht seit 60 Jahren die FDP zur Verfügung und macht für ihre Klientel einen wohl brauchbaren Job.“

    Das war halt das Aufhängerthema mit dem sie richtig politisiert wurden während sie vorher im Einheitsbrei der Sprechblasenpoltik herum dümpelten (nicht alle, aber viele von den jüngeren Piraten). Das heisst aber nicht, dass ihnen sonst alles am Arsch vorbei geht, das sind vernünftige Leute.
    Wenn es Ihnen um den nur „eigenen Arsch“ ginge, könnten sie ja zur FDP, sind sie aber nicht.

  10. Nachtrag:

    „Und die Diskussion hier hat mich jetzt dazu motiviert das etwas auszuformulieren. Ich lade alle Kommentatoren ein, den Artikel den ich da angefangen habe mitzugestalten und mitzutragen.

    http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Eckes/Unfehlbarkeit_der_Piraten
    Danke, der war überfällig

    „Was das Thema Gleichberechtigung angeht, so sind die Piraten sicher durch Personengruppen (Geeks) oder Generationen geprägt die kein Gespühr für die feministischen grundlagendiskussionen haben. Das ist durchaus für den Feminismus ein Problem dass er nicht mehr so wichtig genommen wird. Gleichzeitig muss man aber anerkennen dass die neuen Generationen auch viel selbstverständlicher Rollenverständnisse ablehnen (es Ihnen deswegen schwer zu vermitteln ist).“
    gut gesagt

    „Nach der Bundestagswahl aber ist das vorbei, speziell nach dem explosionsartigen Wachstum der letzten Wochen. Eine Partei die nach Mitgliedern schon langsam in der Liga der etablierten mitspielen kann, darf sich nicht länger auf dem Neuheitsbonus ausruhen, und eine Partei die Mandate gewinnen kann, darf nicht länger ihre prinzipielle Ausrichtung abseits der Kernthemen verschweigen. Ich werde nicht auf die Dauer die Katze im Sack wählen.“
    Sie sind halt vom explosiven Wachstum direkt per Kaltstart in den Wahlkampf über gegangen. Ich finde das läuft den Umständen entsprechend sogar erstaunlich gut.

    „Ich erwarte dann auch ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten, indem diese im Grundsatzprogramm aufgenommen werden. Eine Partei die dies nicht schafft ist ebenfalls unwählbar für mich.“

    Ich glaube da verhält es sich ähnlich wie mit der Barrierefreiheit. „Wir hielten es für so selbstvertändlich, dass wir vergessen haben es aufzuschreiben“.

    „Auch sind Piraten recht unreflektiert bei den eigenen Fehlern (die Gründe als Entschuldigung werden für sich selbst gelten gelassen, bei anderen aber zieht man darüber her). Grade letzteres muss sich ändern – ist aber auch (wie man an mir sieht) vielen bewusst.“
    Ja das ist manchmal problematisch, wenn man auf Augenhöhe diskutieren will muss man auch die gleichen ANsprüche an sich selbst stellen. Man muss allerdings dazu sagen, dass viele der jetzt hochkommenden Fehler (z.B. die Unterstützerformulare in NRW oder die fehlende Sachsen Landesliste zur BTW) Überbleibsel der Piratenpartei 1.0 (vor den EU Wahlen) sind.

    So zum Abschluss möchte ich noch bemerken, dass ich mich erst seit 2 Tagen intensiv mit Feminismus auseinander setze. Manche meiner Positionen erscheinen euch wahrscheinlich naiv, ich habe mich aber um Zurückhaltung bemüht.

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