Etwas Besseres als die Nation

Am Samstag wurde nicht nur Gesine Schwan nicht gewählt und ein deutscher Exportschlager 60 Jahre alt, sondern auch mal wieder demonstriert. Gegen das warme Gefühl im Herzen jener Altlinker, die sich mit dem System angefreundet haben. Gegen das Augenverschließen vor Unterdrückung hier und überall anders. Gegen Stolz, Pisseflecken in der Hose und Schwarz-Rot-Gold am Fenster. Kurz: Gegen Deutschland.

Aktivisten auf einem Dach am Rosenthaler Platz Unter dem Motto „Etwas Besseres als die Nation — Gegen die Herrschaft der falschen Freiheit“ (Oder der Kurzfassung „Staat. Nation. Kapital. Scheiße.“) sollte eine Antinationale Parade am Abend des Freudentaumels durch Mitte und Prenzlauer Berg ziehen. Im Vorfeld wurde in überregionaler Presse und Berliner Politik die Angst vor einem „zweiten 1. Mai“ geschürt; entsprechend schien Repression das Einsatzziel des Tages zu sein. Wie mittlerweile üblich wurden alle Personen die zur Demonstration wollten vorher gründlich auf Glasflaschen, Stahlkappen, Waffen am Körper oder zum Vermummen geeignete Kleidung durchsucht. Gut eine Stunde wurde die Demonstration aufgehalten – zuerst durfte sie nicht starten weil sich noch Personen im Umfeld der Demonstration aufhielten (mutmaßlich jene, die sich nicht dazu bereit erklärt haben, auf Getränke oder ihr Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit in Form eines Kleidungsstils zu verzichten), später wurde ein „Schwarzer Block“ am Anfang des Zuges als Argument genannt. Es folgte ein Ausbruchsversuch ebenjenes Schwarzen Blocks, der jedoch sehr schnell von einer großen Übermacht gestoppt wurde. Einige Zeit später mischte sich ein „Bunter Block“ unter die Spitze, so dass nach einer weiteren guten Viertelstunde der Zug beginnen konnte.

Die Demonstration wurde ständig von größtenteils zweireihigem Polizeispalier auf beiden Seiten begleitet, ein vorzeitiges Verlassen war nicht möglich. An einigen Kreuzungen waren demonstrativ Wasserwerfer zusätzlich zu der Vielzahl an Transportern positioniert. Nach dem sich der Schwarze Block an der Spitze neu gebildet hatte wurde er rund fünfzehn Minuten lang eingekesselt, ohne dass Festnahmen stattgefunden hätten. Ein zu hohes Seitentransparent sorgte die gesamte Strecke für kleinere Rangeleien mit einem Beamten. Glücklicherweise scheint das Verwaltungsgericht Berlin die Auflagen bezüglich Stahlkappen und Seitentransparenten bald etwas abzuschwächen. Vier Lautsprecherwagen sorgten für gut hörbare Musik. An der Rosenthaler Straße schwenkten Aktivisten Fahnen auf einem Häuserdach, verbrannten zwei Deutschlandfahnen, zündeten Feuerwerk und enthüllten ein Transparent. Insgesamt nahmen erfreulich viele Personen an der Demonstration teil; die massive Repression wirkte jedoch auf Dauer derart demotivierend, dass die Veranstalter den Zug etwas vor dem eigentlichen Ziel in der Kastanienallee beendeten. Die Polizei hielt es in der Pressemitteilung für hervorhebenswert, dass „während des gesamten Protestzuges […] lautstark Sprechchöre und Unmutsäußerungen, die sich gegen den Staat richteten, zu hören [waren]“.

Ich halte es für wichtig, deutlich zu machen, dass eine konsequente Lösung diverser drängender Probleme nicht innerhalb des bestehenden Systems zu finden ist. Das heißt aber aus meiner Sicht nicht, dass sämtliche reformistischen Bemühungen diskreditiert werden sollten – sie stellen zur Zeit die einzige realistische Möglichkeit dar, wirklich Unterdrückungen abzubauen und damit effektiv die Situation von Menschen zu verbessern. Und genau darum sollte es gehen. Neben der Ablehnung dieser Bemühungen haben sich die Initiatoren zu sehr auf die Binnenvermittlung in Texten zur Veranstaltung konzentriert. Mit nur wenig Mehraufwand hätten Aufrufe und Hintergrundtexte für nicht mit den Begrifflichkeiten und Ideen vertraute Personen deutlich zwingender in ihren Schlüssen sein können.

Auch das eigentliche Veranstaltungskonzept wurde nicht ausreichend vermittelt. Dass es sich wirklich um eine eher hedonistische Parade handeln sollte, wurde in der eigentlichen Ankündigung nicht erwähnt. Glücklicherweise entstand dennoch eine gute Mischung, die verschiedenen Blöcke waren auch durchaus solidarisch zueinander. Ebenfalls positiv war, dass nicht auf die Provokationen eingegangen wurde; eine Eskalation hätte in der Situation wirklich nichts gebracht. Hoffentlich werden die Kesselung und das Verbot des Schwarzen Blocks noch juristisch oder politisch aufgegriffen. Die Repressionen waren jedenfalls mit Sicherheit geeignet, um Wut für den Juni zu tanken.

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