Der Freiraum Internet

Gegen die zur Zeit diskutierten Internetsperren formiert sich auf verschiedenen Ebenen Widerstand: Einerseits werden die Sperren als technisch wirkungslos bezeichnet. Dieses Argument wird mittlerweile kaum noch einzeln genannt, da es als kontraproduktiv wahrgenommen wird. In Kombination mit der Behauptung, die Sperren würden selbst wenn sie technisch einwandfrei funktionierten kein brauchbares Mittel im Kampf gegen die Verbreitung von Kinderpornographie und den Missbrauch von Kindern darstellen, dient jedoch die technische Kritik zur Bestätigung der behaupteten Ahnungslosigkeit und Unaufrichtigkeit der Politiker. Der mittlerweile wichtigste Kritikpunkt ist jedoch der, dass im Internet alle gewöhnlichen Mittel der Strafverfolgung effektiv eingesetzt werden können; diesee Position wird mit dem Satz „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“ plakativ als Gegenargument genutzt. Eine Sperrinfrastruktur sei daher nicht nötig und entspräche im Vergleich mit klassischen Medien – deren Herstellung und Verbreitung ja kaum eingeschränkt ist, lediglich die Konsequenzen der Werke müssen eventuell erduldet werden – einer Zensur.

In meinem letzten Text habe ich nicht nur dargestellt, wie Internetsperren „verträglicher“ realisiert werden könnten, sondern zum Abschluss und in den Kommentaren auch Punkte angesprochen, die ich hier etwas ausführen möchte.
Meine erste Behauptung ist, dass sich der Widerstand nicht nur gegen Zensur richtet, sondern auch allgemein gegen eine effektive Gerichtsbarkeit im Internet. Insbesondere das Entstehen nationaler „Versionen“ des Internets wird stark abgelehnt.
Meine zweite Behauptung ist, dass wir uns bereits seit langem in einem Kampf um diesen „Freiraum Internet“ befinden. Dabei geht es nicht nur darum, ob das Internet freier ist als klassische Medien, sondern häufig auch darum, dass es nicht weniger frei als diese wird.

Eines der wichtigsten Beispiele für die erste These ist das Urheberrecht. In Tauschbörsen werden bewusst urheberrechtlich geschützte Werke verbreitet. Diese Nutzergemeinde weist mittlerweile mit den diversen Piratenparteien sogar eine eigene Lobby auf, die versucht, die Ergebnisse des Experiments „Internet“ umzusetzen. Dabei geht es um Alternativen, wie sie beispielsweise von Nine Inch Nails, Cory Doctorow oder Danger Mouse aufgezeigt werden.
Eine andere „urheberrechtsfreie“ Kultur hat sich um Imageboards, Meme-Entwerfer und Remixer entwickelt.
Als Seitenaspekt stellen Creative-Commons-Lizenzen daher zur Zeit nur rechtlich ein Zugeständnis von Freiheiten dar; faktisch werden sowieso nahezu alle Werke im Internet als Public Domain genutzt. Selbst prominente Creative-Commons-Akteure wie Netzpolitik.org zitieren eher seiten- als satzweise.

Weitere praktische Beispiele stellen Glücksspiele und Pornografie im Internet dar. In Deutschland herrscht staatliches Glücksspielmonopol und Anbieter pornografischer Werke müssen das Alter der Kunden gründlich überprüfen. Die rechtlichen Regelungen zur Jugendpornografie würden vielen Pornoseiten auch wegen ihrer Darsteller Probleme bereiten. Selbst die englischsprachige Wikipedia verstößt mit Fair-Use-Dateien gegen deutsches Recht. Und Wikileaks, zur Zeit das Lieblingskind aller Netzaktivisten, wäre wohl in kaum einem Land dieser Welt abrufbar, wenn es nach den jeweiligen Machthabern ginge. bombjack hat in einem Kommentar in Stefan Meiners Blog (sehr empfehlenswert übrigens, das Blog) noch weitere Beispiele für abweichende nationale Gesetzgebung genannt und ist zu ähnlichen Schlüssen gekommen wie ich.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum – Es hat jedoch vielen Gruppen als Freiraum gedient, in dem manche Rechtsnormen ignoriert, andere aus dem Ausland übernommen oder völlig umgestaltet wurden. Für wiederum andere Bereiche gibt es noch gar keine Gesetzgebung. Der Versuch, das Internet gewaltsam an den nationalen Rechtsnormen auszurichten (und eine Sperr-Infrastruktur ist ideal dafür), wird daher heftigen Widerstand hervorrufen.

4 Antworten auf „Der Freiraum Internet“

  1. Woher kommt eigentlich die Formulierung „Rechts“frei? Üblicherweise wird doch möglichst oft betont, dass zu Freiheit und Demokratie nicht nur Rechte sondern auch Pflichten gehören. Der Diskurs um den rechtsfreien Raum Internet beschäftigt sich allerdings kaum mit der Frage welche Rechte denn im Internet zustehen.

    Geht man vom Offensichtlichen aus und betrachtet das Internet im Vergleich zur Welt da draußen – wo finden sich rechtsfreie Räume? Ist „auf der Straße“ das gleiche wie „im Internet“? Wie oft wird in bestimmten öffentlichen Bereichen, Straßenecken in Städten oder das freie Feld bzw kleine Wäldchen auf dem Land? Wie oft wird „öffentlich“ durch BTM, Gewalt, aber auch Urheberrechtsverletzung oder Informationsaustausch gegen Gesetze verstoßen. Jedoch, selbst wenn Gesetze konventionell missachtet werden, gibt es doch meistens keinen rechtsfreien Raum. In Eskalationssituationen werden doch Rechtsansprüche erhoben und auch mal die Polizei zur Hilfe geholt. Ein spezifischer und entscheidender Unterschied zum INternet besteht natürlich auch darin, dass man diese Realität wenig gezielt durchsuchen und nicht beliebig vervielfachen kann.
    Wir stellen also einerseits fest: Erstens, das technische Wunder des Internets (Durchsuch- und Kopierbarkeit) ist als markante Unterscheidung vermutlich ein Grund für die Andersbehandlung, also etwas beunruhigendes.
    Zweitens, die Vorstellung vom rechtsfreien Raum könnte dadurch aufgeweicht werden, dass es ein attraktives Angebot an Rechten gibt. Es macht aber wenig Sinn mich im Internet an eine staatliche Authorität zu wenden, da diese gar nicht so viel Authorität darstellt, wie sie es müsste, um nützlich zu sein.

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