Offene Email an Nora Reich

Die folgende Email habe ich Nora Reich als Reaktion auf ihre Rede auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen geschickt.

Hallo Nora,

deine Rede auf der BDK (http://www.youtube.com/watch?v=_249BhTHBfw) wird gerade im Internet (vor allem Twitter und identi.ca) rumgereicht und nicht gerade positiv kommentiert.

Es fällt mir auch schwer, die von dir behauptete differenzierte Darstellung zu erkennen; ganz im Gegenteil arbeitest du massiv mit Polemik, wenn du bsw. die Altersverteilung der Opfer darstellst. Diese angedeutete Gewichtung der Fälle ist nicht nur abstoßend, die Aufzählung dient darüberhinaus einzig dem Ersticken jeglicher sachlicher Kritik.

Du sprichst von einem zweigleisigen Vorgehen – das ist aber kein Argument für die Sperren. Selbst wenn es dieses zweigleisige Vorgehen gäbe, wären die Sperren immer noch sinnlos und schädlich. Abgesehen davon wird aber gar nicht an den wirklichen Problemen gearbeitet; das zweite Gleis fehlt also. Und selbst dabei würde sich nur auf Kinderpornografie bezogen werden; gegen Kindesmissbrauch als weitverbreitete familiäre Katastrophe fehlt nicht nur ein Konzept, sondern auch der politische Wille vorzugehen.

Du behauptest: „Fakt ist, dass kinderpornografische Bilder gezielt eingesetzt werden, um potentielle Kunden zu werben, Hemmschwellen abzubauen und die Nachfrage nach immer brutaleren Bildern anzuheizen“. Ich verlange Belege für diese Fakten.

Du sprichst davon, „Urheber im Ausland […] wirtschaftlich [zu treffen]“. Was ist mit den Urhebern im Inland? Weiter würde ich behaupten, dass ein sehr großer Teil des Kindesmissbrauchs nicht aufgrund eines wirtschaftlichen Interesses stattfindet, selbst ein großer Teil der Kinderpornografie dürfte nicht einem solchen Interesse folgend erstellt werden.

Du behauptest, in Schweden würden durch die Internetsperren täglich 50.000 Zugriffe verhindert werden. Du führst jedoch nicht aus, was für Zugriffe gemeint sind (Es handelt sich nicht bei allen gesperrten Seiten um verbotene Kinderpornografie: http://netzpolitik.org/2009/schwedische-filterliste). Außerdem nennt Guttenberg 50.000 Zugriffe jährlich (http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~EE1A209DE5D854E60AF779B1916ACC123~ATpl~Ecommon~Scontent.html).

Es gibt ein legitimes und erprobtes Mittel, Seiten mit kinderpornografischen Inhalten zu sperren: Es heißt „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften“ und ist § 184b im Strafgesetzbuch. Vergleichbare Regelungen gibt es in praktisch allen Staaten dieser Welt. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und Kinderpornografie ist eines der wenigen Themen bei denen die Rechtsnormen fast weltweit eine Verbreitung verbieten; insbesondere die in anderen Ländern wegen Kinderpornografie gesperrten Server stehen zu einem sehr großen Teil in Ländern mit einer solchen Rechtsnorm – wie bsw. Deutschland oder die Vereinigten Staaten. Eine Strafverfolgung findet anscheinend nicht statt.

Darüberhinaus hast du die negativen Seiten des Vorhabens vollständig ausgeblendet. Denn die geplanten Internetsperren haben nicht nur keinen nachgewiesenen positiven Effekt, sie sind auch schädlich. Die aufzubauende Zensurinfrastruktur wird bereits jetzt von Interessengruppen beäugt und sehr wahrscheinlich auch bald verwendet.

Freundlicher Gruß,
Adrian Lang, Berlin

15 Antworten auf „Offene Email an Nora Reich“

  1. Da kann ich nur unterschreiben.

    Danke, dass du das Mail geschrieben hast. Am liebsten würde ich es unverändert auch nochmal an die Frau schicken.

    Wenigstens die Grünen muss man doch noch wählen können ohne sich selbst die Pistole an die Schläfe setzen zu wollen!

  2. @Adrian
    Freut mich, dass deine Mail so sachlich ist. Ich war auf der BDK und war auch entsetzt über Noras Rede. Ich kenne sie nicht, vermute aber, sie hat sich einfach nicht eingehend genug mit dem Thema beschäftigt.

    Ihr Anliegen wurde jedenfalls von einer breiten Mehrheit abgelehnt und das Wahlprogramm mit deutlicher Ablehnung der Zensursula-Netzsperre am Schluss einstimmig verabschiedet.

  3. Vielen vielen Dank Adrian. Du sprichst mir aus der Seele. Meine Intelligenz ist von der Frau zutiefst beleidigt worden und auch ich erwarte eine Entschuldigung. Ich hoffe sehr, dass die Grünen noch zur Vernunft kommen oder dass das nur eine einzelne meinungslose Nachplapperin ist. Tut verdammt nochmal etwas gegen Kinderpornografie ihr verlogenen (Dummheit schützt vor Strafe nicht) Säcke und nicht für eure Parteikassen, oder die große Datensammel-Lobby.
    Genauso enttäuscht ich bin von den Sesselpfurzern die sich selbst Journalisten nennen und sich durch Nicht- oder Falschinformation Mitschuldig machen. Die sollten Ihr (immernoch und zu unrecht) hohes Ansehen, Ihr Renomme nutzen und zur Wahrheitsfindung beitragen…

    now sports.

  4. @Erik
    Du hast meinen Kommentar über deinem offenbar nicht gelesen, sonst würdest du nicht schreiben, dass du hoffst, dass „die Grünen“ zur Vernunft kommen.
    Nora Reich war eine einzelne Stimme auf dem Parteitag, der letztendlich einstimmig ein Wahlprogramm beschlossen hat, wo die Netzsperren von Zensursula klar abgelehnt werden.

  5. Korrekt. Hab ich nicht. Ist aber gut zu wissen.
    Und ich habe dann doch noch (beim recherchieren zum Thema) auch einige sehr gute Artikel aus herkömmlichen Printmedien finden können, weshalb mir meine Journalisten-Pauschalisierung nun etwas Leid tut.

  6. #4:
    „Eine einzelne Stimme“. Aha. So wie Herr Güldner? So wie „die glorreichen 15“ vom 18.6.?

    Nein, Frau Reich spricht hier mit Sicherheit für mindestens ein Drittel der Grünen und die verhaltenen Reaktionen („Matthias ist ansonsten ein ganz netter/sehr engagierter/etc. Grüner“) machen für mich sehr deutlich: Man will es sich mit den konservativen Grünen nicht verderben und schwarzgrün ist intern ebensowenig indiskutabel wie Zensur.

  7. Vielen dank … ich war grade schon auf der suche wo ich ihr meine meinung hinterlassen kann …. aber das habt ihr ja schon erledigt ;-)

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