9:00: Vor dem Jüdischen Gemeindehaus werden die Namen der ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden verlesen.
18:00: Die F_AJOC lädt zu einem Spaziergang zu Orten der Verbrechen in Charlottenburg.
19:00: Die zentrale Gedenkveranstaltung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin findet vor dem Jüdischen Gemeindehaus statt.
18:00: Am Ostbahnhof führt die Linke einen antifaschistischen Spaziergang durch.
16:30: Das Gottfried-Keller-Gymnasium führt gemeinsam mit dem Walther-Rathenau-Gymnasium und der Polizeiakademie Berlin einen traditionellen Schweigemarsch vom Rathenau-Gedenkstein zum S Grunewald durch.
11:00: Am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in der Konrad-Wolf-Straße 92 wird das Bezirksamt eine Gedenkveranstaltung durchführen.
16:00: Die Linke ruft zu einem Erinnerungsgang zu den in Kaulsdorf verlegten Stolpersteinen auf.
15:00: BVV und Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg laden zum stillen Gedenken an der Synagoge Fraenkelufer.
16.00: Ebenfalls von BVV und Bezirksamt findet eine Gedenkveranstaltung mit musikalischer Begleitung sowie einer Kranzniederlegung am Mahnmal „Blatt“, dem ehemaligen Standort der Synagoge Lindenstraße, statt.
17:00: In der Großen Hamburger Str. 25-26 findet eine Mahnwache der Omas gegen Rechts statt.
19:30: Eine Gedenkveranstaltung beginnt vor der Sophienkirche und endet am alten jüdischen Friedhof in der großen Hamburger Str. 27.
12:00: Der DGB organisiert ein Stolpersteinputzen auf dem Werkshof von Siemens Energy in der Huttenstr. 12.
18:00: Verschiedene antifaschistische Gruppe veranstalten die traditionelle antifaschistische Kundgebung und Demonstration vor dem Mahnmal in der Levetzowstraße mit Musik und Redebeiträgen.
19:00: Die Initiative Hufeisern gegen Rechts erinnert an Nachbar_innen, die Jüd_innen bei sich versteckt haben.
11:00: Die Linke lädt zu einem stillen Gedenken auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.
12:00: Die Linke lädt zu einem stillen Gedenken auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee.
17:00: Die evangelische Kirchengemeinde am Weinberg und die katholische Gemeinde Herz Jesu führen einen ökumenischen Gedenkweg durch.
16:00: Das Bezirksamt lädt zu einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die zerstörte Synagoge in der Münchener Straße 38.
18:00: Die GEW führt eine Mahnwache am Wittenbergplatz durch.
An der Spiegelwand beim S+U Rathaus Steglitz findet dieses Jahr anscheinend keine Gedenkveranstaltung statt.
15:30: Der Chor »Widerklang« lädt zum gemeinsamen Singen auf dem Tempelhofer Feld mit Spaziergang zum und Gedenken am Mahnmal des KZ Columbiahaus.
16:00: Eine Fahrradtour besucht Stolpersteine in Tempelhof und Mariendorf.
13:00: Tobias Schulze (MdA die Linke) lädt zum gemeinsamen Stolpersteinputzen am Leopoldplatz.
Stolpersteine sind zwar nicht unumstritten, aber sie sind real die sichtbarste und weitverbreitetste Form der Erinnerung in Berlin. In der Wikipedia gibt es eine Liste der Stolpersteine in Berlin mit weiterführenden Links. Am 9. November bietet es sich an, Stolpersteine zu putzen (Anleitung als PDF), Kerzen anzuzünden oder Blumen niederzulegen.
Bitte schreibt mir Ergänzungen und Korrekturen!
]]>Kommerzielle Datingplattformen haben in erster Linie das Ziel, für ihre Besitzer_innen Gewinn zu erwirtschaften. Bei manchen kostet jede Mitgliedschaft Geld, aber in den meisten Fällen ist die einfache Nutzung kostenfrei. Dafür sind auf solchen Plattformen spezifische Funktionen nicht frei verfügbar, sondern müssen entweder als festes Paket im Abo gekauft werden, oder sogar jede einzelne Benuztung. Allgemein gilt, dass Nutzer_innen möglichst viel auf der Plattform aktiv sein sollen, da sie das angebotene Produkt darstellen. Bei einer klassischen Datingplattform, die überwiegend exklusive Beziehungen vermittelt heißt das übersetzt: die Nutzer_innen sollen eigentlich nicht erfolgreich sein – sonst bräuchten sie die Plattform ja (zumindest für eine Weile) nicht. Das alleine stellt einen deutlichen Interessenskonflikt zwischen den Besitzer_innen und den Nutzer_innen dar.
Die eigentlichen Kund_innen sind nur jene Nutzer_innen, die bezahlen – alle anderen sind bestenfalls potentielle Kundschaft, vor allem aber Produkt. Im Fall von Tinder bringt zum Beispiel nur ein Zehntel der Nutzer_innen Umsatz, und diese sind zu rund 70% Männer. Kund_innen sind selbstverständlich genauso vielfältig wie Nutzer_innen allgemein, aber unter ihnen gibt es zwei kleine, wesentliche Unterkategorien, die ich interessant finde: Whales und Abuser. Whales sind Personen, die sehr viel Geld ausgeben ohne dabei notwendigerweise erfolgreich zu sein. Der Begriff kommt ursprünglich aus dem Glücksspiel-Bereich, wird aber mittlerweile vor allem auf Nutzer_innen von Apps und Handyspielen angewendet. Dort beschreibt es jene rund 2% aller Nutzer_innen, die monatlich über 100€ ausgeben, teilweise auch viel mehr, und damit den Großteil der Einnahmen vieler Apps darstellen. Richard Garfield, der Erfinder von Magic: The Gathering, hat das Konzept für mich sehr anschaulich in seinem Text »A Game Player’s Manifesto« (leider auf Facebook) beschrieben. Eher auf sozialen Plattformen sind Abuser eine relevante Kund_innenkategorie. Für FetLife beispielsweise hat eine Datenanalyse ergeben, dass unter zahlenden Nutzer_innen ein zehn mal so hoher Anteil als übergriffig bekannt ist wie in der Gesamtmenge der Mitglieder. Anders als Whales sind Abuser eher bereit, Geld auszugeben, weil sie (ihrer Vorstellung nach) erfolgreich sind.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum kommerzielle Datingplattformen so gestaltet sind, wie sie es sind. Die kaufpflichtigen Funktionen sind zu großen Teilen entweder nötig um die langfristige Nutzung überhaupt erst erträglich zu machen (und sollen damit mehr zahlende Kundschaft anlocken), oder sprechen spezifisch Whales oder Abuser an. Die Moderation ist nicht nur kostensparsam, möglichst automatisierbar, zum Beispiel basierend auf Tone policing und Respectability, sondern soll auch so wenig wie möglich zahlende Accounts beeinträchtigen oder verbrennen. Die Sicherheit der Nutzer_innen spielt keine Rolle, jedenfalls definitiv nicht die der Nichtzahlenden.
An kommerziellen Datingplattformen ist für mich aber nicht nur problematisch, dass sie verkaufen, an wen, und wie, sondern auch, was das Produkt ist. Das beste Ergebnis, das bei der Benutzung einer kommerziellen Datingplattform vorgesehen ist, ist ein Match zwischen zwei Profilen. Die Frage, was diese beiden Leute eigentlich miteinander machen wollen, kommt gar nicht oder nur in den gröbsten Kategorien vor. Obwohl der vorgebliche Zweck der Plattformen ist, Menschen dabei zu helfen andere kennenzulernen, lassen sie ihre Nutzer_innen genau an der Stelle alleine, wo aus einem Profil unter vielen ein echter Mensch wird und ein Kennenlernen stattfinden könnte. Hier verrät sich, wie sehr das Matchen, nicht das darauffolgende interagieren, für Plattform-Besitzer_innen (und zunehmend Nutzer_innen) das eigentliche Ziel der Nutzung ist. Funktionieren tut das aber nur, weil alle Beteiligten die Illusion aufrechterhalten, dass es selbstverständlich oder zumindest trivial aushandelbar wäre, was auf ein Matchen folgen könnte – je nach Plattform zum Beispiel spontaner Sex oder Treffen zur Aushandlung romantischer Beziehungen unterschiedlicher Länge. Durch diese implizite Klarheit des Möglichen ersetzt das Matchen emotional für die Nutzer_innen die imaginierte soziale Handlung selbst, und erspart den Plattform-Besitzer_innen die Schmälerung ihres Produkts: Ein Katalog oder Strom gleichförmiger, generischer Einträge, der ein übermäßiges Angebot für eine dürre handvoll Bedürfnisse vortäuscht. Zugrunde liegt eine Normativität, die zwar ggf. verschiedene Stufen auf dem Gradienten zwischen Gelegenheitssex und monogamer Beziehung fürs Leben vorsieht, aber auf jeden Fall nicht davon ausgeht, dass eine Person Beziehungen in verschiedenen Farbtönen sucht.
Kommerzielle Datingplattformen reduzieren den Reichtum und die Vielfalt zwischenmenschlicher Beziehungen auf einen ärmlichen, Relationship-Escalator-kompatiblen Ausschnitt, die Unermesslichkeit sexueller und sozialer Bedürfnisse und geschlechtlicher, kultureller, sozialer Identität auf ein paar Kategorien, um dann aus dieser Gleichförmigkeit heraus die Illusion von Überangebot und (miteinander konkurrierender) Auswahl zu erzeugen (Klassischer Kapitalismus-Move). Plattform-Nutzer_innen wie -Besitzer_innen haben erkannt, dass das reale Kennenlernen gegenüber dem abstrakten Bestätigtwerden zunehmend an Attraktivität verliert. Die zahlende Kundschaft – überwiegend Männer – wird gleichzeitig hofiert, geschützt und verarscht, denn gerade für Hetero-Männer besteht absolut kein Überangebot. Alle anderen müssen sowieso sehen wo sie bleiben. Kommerzielle Datingplattformen sind nicht dafür geeignet und auch nicht dafür gedacht, dass Menschen sich erfolgreich kennenlernen und eine schöne Zeit miteinander verbringen.
Puh. Soweit zu meiner kurzen, zugespitzten Abrechnung mit kommerziellen Plattformen. Neben dieser Analyse war Captain Awkward eine wesentliche Inspiration für meine Idee. Sie hat in einem Blogpost empfohlen, auf Datingplattformen möglichst spezifisch die gerade gesuchte Beziehung zu beschreiben, statt sich generisch attraktiv darzustellen. Das würde unpassende Personen abschrecken und potentiell passende mehr ansprechen. Mein Gedanke war vor allem, dass dadurch Leute die sich finden auch eher eine Idee haben was sie miteinander anfangen können. Dazu kam in meinem Kopf die oft unter Beziehungsanarchie verhandelte Idee, dass zwischenmenschliche Beziehungen sehr individuell und vielfältig sind und sich im Laufe der Zeit wandeln können, und sich nicht sauber in romantische, sexuelle und freundschaftliche aufteilen lassen.
So stelle ich mir also insgesamt eine Plattform vor, auf der Menschen nach anderen Personen für bestimmte Aktivitäten oder Beziehungen suchen können. Eine Plattform, die nicht unbedingt wachsen oder möglichst viel Zeit ihrer Nutzer_innen fressen will; die die Sicherheit der Nutzer_innen in den Vordergrund stellt. Eine Plattform, die nicht alles auf diesen einen Moment des Matchens setzt und hofft, dass etwas Magisches passiert, sondern Beziehungen, die vor ihr anfingen oder nach ihr weitergehen erwartet und Menschen dazu einlädt, sich mehrmals neu kennenzulernen und zu begegnen.
Um mit Spaß an dieser Plattform zu arbeiten und sie vielleicht sogar irgendwann zu starten suche ich Leute, die mit mir weiter daran forschen, überlegen, planen, gestalten, programmieren, übersetzen oder diskutieren wollen. Im Moment interessiert mich vor allem wie auf dieser Plattform Moderation, Gemeinschaft und Selbstermächtigung interagieren könnten, aber ich beschäftige mich auch mit allen anderen Aspekten. Falls das für euch interessant klingt oder ihr Kommentare, Hinweise oder Überlegungen teilen wollt, schreibt mir gern eine Nachricht oder hier einen öffentlichen Kommentar.
Danke an njan, Maren, Anna und noch eine Person für das gemeinsame Überlegen und Diskutieren zu diesem Thema!
]]>Erstens: Sexualisierte Gewalt spielt eine große Rolle, aber »Life is Strange« hat nichts darüber zu sagen. In einer Szene ist die Protagonistin hilflos und das Spiel lässt nur Kamerasteuerung zu. Als Teil der Spielmechanik muss der_die Spieler_in diese Szene auch noch mehrmals durchleben bis sie_er »richtig« handelt und sich nach einiger Spielzeit nochmal in eine Zeitlinie bewegen in der sie_er WIEDER IN DER SELBEN SZENE landet. Die Szene ist furchtbar anzusehen. Das Spiel zwingt uns als aktiv handelnde Person, sie selbst zu produzieren und reproduzieren – das ist schlicht grausam. Und auf diese Grausamkeit folgt – nichts. Ausführlicher dazu: »On Women’s Bodies & Violent Men in the ‘Life Is Strange’ Finale«
Anderthalbst: Der Anfang dieser Szene mit dem Satz »Please, don’t do this.« ist der Cliffhanger zwischen vierter und fünfter Episode.
Zweitens: Von Kate, einer Mitschülerin der Hauptfigur, wird ein Video veröffentlicht, in dem sie unter Drogeneinfluss sexualisiert handelt. Da sie keine Drogen und kein Alkohol konsumiert ist allen offensichtlich dass weder was sie tut noch dass es gefilmt wird mit ihrer Zustimmung passiert – es handelt sich wiederum um sexualisierte Gewalt. Kate ist offensichtlich schwer traumatisiert. Im weiteren Verlauf kann die Hauptfigur Kate mehr oder weniger helfen, in erster Linie trösten. So oder so wird Kate aber einen Selbsttötungsversuch beginnen und der_die Spieler_in kann versuchen, sie durch richtige Dialogoptionen davon abzuhalten. Egal ob das gelingt oder nicht ist dies die erste Stelle im Spiel die sich nicht wiederholen lässt. Im weiteren Verlauf der Handlung macht es auch keinen großen Unterschied, ob Kate tot ist oder nicht. In der letzten Episode des Spiels kann sich der_die Spieler_in weitere Fotos von Kate die sexualisierte Gewalt darstellen angucken. Auch mit der Figur von Kate hat »Life is Strange« nichts mitzuteilen: Ihr Leben oder Tod spielt keine große Rolle. Die Bemühungen des_der Spieler_in vor ihrem Selbsttötungsversuch waren weitgehend nutzlos. Ausgerechnet an einer Stelle wo viele Spieler_innen einen alten Spielstand laden würden funktioniert das Spielmechanik gewordene Laden nicht.Auch die Gelegenheit, die verschiedenen Ebenen sexualisierter Gewalt die Kate erlebt auseinanderzupflücken verstreicht ungenutzt, so dass sogar eine Person die über genau diese Situation schreibt zum Kommentar »There’s life after a bad viral video.« kommt. Mehr zu Kate: »Saving Kate and Saving Myself in Life is Strange« von Holly Green.
Drittens: In einer alternativen Realität in der das Spiel zeitweise nach einer Handlung des_der Spieler_in spielt, ist Chloe, die Freundin der Hauptfigur, vom Hals abwärts gelähmt. Die Episode endet damit dass Chloe um Sterbehilfe bittet und der_die Spieler_in ihrem Wunsch entsprechen kann oder auch nicht – wiederum eine Entscheidung die im Spiel selbst absolut belanglos ist, da danach die alternative Realität wieder durch die eigentliche Zeitlinie ersetzt wird. Eine weitere wertlose, schon im Spiel belanglose Referenz eines »schwierigen« Themas, bestenfalls ohne, schlimmstenfalls mit problematischer Aussage.
Viertens: Das Ende. Nachdem Chloe im Laufe des Spiels schon diverse Male gestorben ist muss der_die Spieler_in sich entscheiden, entweder die Stadt von einer Katastrophe zerstören zu lassen die Chloes Meinung nach irgendwie mit ihr zusammenhängt, oder die erste Aktion des Spiels, nämlich Chloes Leben zu retten, rückgängig zu machen. Letztere Variante ist das ausführlich produzierte Ende, in ersterer fahren die beiden einfach nur weg. Das Ende macht alle vorherigen Handlungen im Spiel sinnlos. Mehr zum Ende: »Twee Nihilism: Thoughts on Life Is Strange Three Years Later« von Ashley Minor.
Fünftens: David, Chloes Stiefvater, ist ein traumatisierter und von Diskriminierung betroffener Kriegsveteran. Er ist misstrauisch und gewalttätig, wird aber trotz dieser Handlungen zunehmend positiv dargestellt und rettet am Ende die Hauptfigur. Mehr zu David und Väterfiguren in Spielen: »Don’t Mention The Bruises«.
Sechstens: Die Hauptfiguren sind junge, queere Frauen. Der Hauptgegner im Spiel ist ein älterer Mann der junge Frauen und Gewalt gegen sie fetischisiert. Das Spiel lässt den_die Spieler_in Gewalt gegen junge Frauen durchleben und macht sie durchs Spielen selbst zu Kompliz_inn_en dieser Gewalt.
Zusammenfassung: »Life is Strange« stellt grausame Gewalt dar. Es gibt sich dabei regelmäßig Mühe, um noch grausamer zu sein. Diese Gewalt wird nicht analytisch, heilend oder sonstwie emanzipatorisch behandelt. Selbstwirksamkeit, Handlungsspielräume, Solidarität und Fürsorge werden aktiv als ergebnislos dargestellt.
»For many, the game is devastating. I know few people who got through Chapter 2 without crying.« – Holly Green
»As much as I love the smaller moments, I’ve also felt unsettled by this episode, almost to the point of putting it down. However, I’ve come to know and care about these characters and that’s what keeps me playing even when horrible things happen to them.« – Kimberley Wallace
Für Menschen, die vergleichbare Gewalt erleben, ist »Life is Strange« eine selbstverletzende Erfahrung. Alles Gute und Positive an Kunst und Gefühlen was durch »Life is Strange« entstanden ist kommt aus den Spieler_innen selbst. Ihnen wird dadurch vermittelt, dass diese traumatisierende »Thematisierung« die einzige und richtige Art der Beschäftigung mit Herrschaftsverhältnissen und Gewalt in Medien ist. Allen anderen bietet »Life is Strange« das beruhigende Gefühl, sich mit dieser Gewalt »beschäftigt« zu haben, und fetischisiert diese gleichzeitig.
»[…] a game that appealed to queer women in a way that few games even try to, but that had left many feeling disappointed through its use of harmful tropes« – Jay Castello
»Life is Strange« wird oft als Gegenthese zu den Allmachtsphantasien anderer Spiele verhandelt. Die emanzipatorische Gegenthese zu individueller Allmacht ist aber nicht individuelle Ohnmacht, sondern Solidarität und kollektive Selbstwirksamkeit.
]]>In einen Hungerstreik zu treten ist eine sehr spezielle, auf den ersten Blick paradoxe politische Handlung. Zum einen legt sie das eigene Schicksal in die Hände eines Gegenübers, dessen Unfähigkeit oder Unwille zu sinnvollem Handeln meistens der Grund war, überhaupt in den Hungerstreik zu treten. Das eigene Wohlbefinden oder zumindest Überleben muss den Adressat_innen also wichtiger sein als ihre Untätigkeit oder ihr politisches Fehlverhalten. Funktionieren kann das nur, wenn das Gegenüber tatsächlich schon vor der Aktion in irgendeinem Grad zur Fürsorge der Hungerstreikenden verpflichtet war. Je unmittelbarer die Fürsorgepflicht und Herrschaft, und je erbärmlicher der eigene Ausgangszustand, desto einfacher lässt sich der Hungerstreik vermitteln. Wer im Knast verrottet, kann in den Hungerstreik treten – und oft auch wenig anderes tun. Wessen Familienmitglieder abgeschoben werden sollen, kann in den Hungerstreik treten. Wer mit der Umweltpolitik einer Regierung unzufrieden ist, kann auch in den Hungerstreik treten, wird aber deutlich größere Schwierigkeiten bei der Vermittlung haben. Gleichzeitig entsteht so aber auch die Gelegenheit, die Strukturen und Beziehungen mittelbarer Herrschaft ans Licht zu bringen.
Zum anderen ist ein Hungerstreik eine paradoxe politische Handlung, da er im Kern (jenseits der in diesem Fall nicht zu unterschätzenden Logistik, Begleitung und Vorbereitung) eine Nicht-Handlung ist. Er deckt damit auf, dass schon das bloße Mitmachen – auf jeder Ebene – politisch ist. Ein Hungerstreik stellt die grundlegendste Art nicht-endgültiger Gehorsamsverweigerung dar. Es ist auch für fast alle Menschen zugänglich: Nicht zu essen ist das erste Mittel, das ein Mensch erlangt, um willentlich Widerspruch zu äußern, und oft auch das letzte, das verbleibt. In einer Gesellschaft, in der funktionieren und produzieren an oberster Stelle stehen, bleibt ein Hungerstreik aber nicht bloß Widerspruch, sondern ist praktischer Widerstand. Wer sich nicht selbst reproduziert, stört die fragilen Abläufe der Maschine.
Der »Hungerstreik der letzten Generation« steht aber vor allem in der Tradition der liberalen Klimagerechtigkeitsbewegung: Die Themen, die Sprache und die Menschen sind die selben wie beim Schulstreik von Fridays for Future und beim zivilen Ungehorsam von Extinction Rebellion. Die tiefste Verbindung besteht in Bezug auf die grundlegende politische Taktik die hier zum Einsatz kommt. Als junge Leute 2018 anfingen, nach dem Vorbild Greta Thunbergs ihre Schule, Ausbildung oder Uni zu bestreiken, war dies keine Gehorsamsverweigerung gegenüber diesen Einrichtungen einer Disziplinargesellschaft. Immer wieder hieß es: »Wir wären lieber in der Schule – wenn ihr nur eure Hausaufgaben machen würdet«. Die Streikenden nehmen also eine Last auf sich, einen Nachteil in Kauf. Sie setzen das einzige ein und aufs Spiel, was ihnen zugesprochen wird: Chancen. Perspektive. Potential. Der Schulstreik von Fridays for Future wurde immer in erster Linie aufgefasst und dargestellt als Sabotage der eigenen Zukunft.
Extinction Rebellion macht diese grundlegende politische Taktik zugänglich für weitere Bevölkerungsgruppen, in dem nicht mehr die eigene Zukunft, sondern das individuelle aktuelle Wohlbefinden in die Waagschale geworfen wird. Beispielhaft dafür ist die Idee, möglichst viele Verhaftungen zu provozieren. Zum Teil wird dieser Umstand davon verdeckt, dass Extinction Rebellion die Sprache von Sabotage und Massenbewegung spricht (»fluten«, »blockieren«, »stören«), obwohl es diesen Status nicht erreicht hat. Am Ende spekulieren Fridays for Future und Extinction Rebellion genauso wie der Hungerstreik auf die selbe Sache: Dass die herrschende Gesellschaft es nicht mit ansehen kann, junge Deutsche leiden zu sehen.
Die andere zentrale Gemeinsamkeit dieser verschiedenen Akteur_innen ist ihr unmittelbares Ziel. Nahezu deckungsgleich versuchen sie, die liberale Öffentlichkeit und die Organe der repräsentativen Demokratie auf die Klimakrise hinzuweisen und fordern einen (meistens unspezifizierten) angemessenen Umgang damit. Die Medien sollen »die Wahrheit« berichten, Politiker_innen sollen »zuhören« und »handeln«. Diesen Forderungen liegt die Idee zugrunde, dass Regierungen und Parlamente sich im wesentlichen nach den objektiven, bekannten Tatsachen richten. Wo sie das nicht ausreichend tun fehlt es nach dieser Idee also an der allgemeinen Bekanntheit der Fakten, maximal braucht es vielleicht eine Prise Druck von der Straße um Trägheit und Wirtschaftslobby zu überwinden. Dass sich nach Jahren wöchentlicher, teilweise riesiger Demonstrationen und einer erdrückenden, allseits bekannten Faktenlage noch kein adäquates Regiertwerden eingestellt hat, lässt sich aus dieser Sicht schwer erklären.
Es herrscht Fassungslosigkeit. Gleichzeitig erinnert uns der Liberalismus Tag für Tag auf allen Kanälen, dass in erster Linie die eigene Anstrengung den individuellen Erfolg bestimmt. Unsere Gesellschaft versteht sich als eine, in der – nicht zuletzt politisch – alles erreichen kann, wer sich nur anstrengt. Im Umkehrschluss hat dann, wer keinen Erfolg hat, sich einfach nur nicht genug angestrengt. Auch vor diesem Hintergrund ist ein Hungerstreik eine logische Fortsetzung der an sich erfolgreichen, aber ergebnisarmen Schulstreiks. Er setzt die selbe Ressource – das eigene Wohlbefinden – ein, um denselben Adressat_innen dasselbe abzuringen.
An der Stelle höre ich erstmal auf. Meine weiteren Gedanken zu Hilflosigkeit, repräsentativer Demokratie und verschiedenen Arten politischer Arbeit einerseits sowie Leiden und zivilem Ungehorsam andererseits schreibe ich vielleicht später noch auf.
]]>Die (spät-)koloniale »Counter-Insurgence«-Doktrin (COIN) hatte als Ziel, die eigene Position und Legitimität zu festigen, in dem der Ausgangszustand als problematisch betrachtet wurde und durch nicht rein-militärische Maßnahmen verändert werden sollte. Post-koloniale Interventionen sind demgegenüber davon geprägt, einen bestimmten Zustand durch minimale, hauptsächlich militärische Eingriffe wieder herzustellen.
Die erste Generation von COIN bestand darin, den Fokus von Armeen und Schlachten auf Bevölkerung zu legen, durch Razzien (Terror-Unternehmen gegen die Zivilbevölkerung) und Bureaux Arabes (Lokal verankerte Militärpolizeien). Die zweite Generation legte zumindest rhetorisch starken Fokus auf den (Wieder-)Aufbau und entwickelte das Konzept der Oil Spots, Bereiche die als erstes gesichert und stark zivil aufgebaut, militärisch verteidigt und geheimdienstlich überwacht werden. Durch mangelnde Ressourcenzuteilung mussten COIN-Operationen und allgemein Operationen in den Kolonien mit wenigen, leichten Truppen arbeiten, viele lokale Kräfte einbinden und gegeneinander ausspielen und wenig erfahrenen Offizieren weitgehend freie Hand zur Erreichung ihrer Ziele lassen.
In der dritten Generation (hauptsächlich Indochina-Krieg) war dieser Widerspruch zwischen wenigen Ressourcen (durch mangelnde politische Unterstützung) aber großen (militärischen) Zielen am deutlichsten. Irreguläre Truppen wurden umfangreich eingesetzt. Es bestand Unklarheit in den Zielen: Dienten die Kriege der Erhaltung des Kolonialreiches oder der Entwicklung formal unabhängiger nicht-kommunistischer postkolonialer Staaten? Außerdem gab es Uneinigkeit ob strategisch militärische Sicherheit oder ideologische Beeinflussung der Zivilbevölkerung im Vordergrund stehen sollte. Beide Seiten der Debatte waren sich aber einig, dass den Aufständischen teilweise entgegengekommen werden sollte, auf der einen Seite durch Nachahmung ihrer militärisch-zivilen Organisationsform, auf der anderen durch politische Reformen; keinesfalls jedoch sollte Macht abgegeben werden. Im Algerienkrieg wurden »sections administratives spécialisées« eingesetzt, wiederum eine lokal verankerte Militärpolizei die Lücken in der Kolonialverwaltung füllen sollte. Der Widerspruch zwischen den »Kämpferischen« und den »Psychologischen« war noch präsenter. Der Algerienkrieg endete mit der politischen Entscheidung Frankreichs, sich trotz militärischen Erfolgs zurückzuziehen – wieder der Widerspruch zwischen politischen und militärischen Zielen. In diesen letzten Kolonialkriegen wurden lokale Kollaborateure nach dem Rückzug der Kolonialmacht ihrem Schicksal überlassen.
Die moderne französische Militärführung besteht aufgrund dieser Erfahrungen darauf, militärische mit politischen Zielen in Einklang zu bringen (um entsprechende Ressourcen zu haben). Das Ziel ist meist eine vorgeblich unpolitische (Wieder-)Herstellung oder Stabilisierung einer bestimmten Ordnung. Das Lösen von zugrundeliegenden Konflikten oder das langfristige Verankern werden anderen überlassen. Konflikte werden damit nicht mehr als politisch, sondern als technische Probleme betrachtet, und Interventionen als neutrale Verwaltungsakte.
Weiterhin liegt der Fokus auf der Zivilbevölkerung, dabei wird sich stark auf NGOs und die Arbeit anderer ziviler Akteure gestützt, sowohl im eigentlichen Konflikt als auch beim Füllen von Lücken. Als entscheidend wird nicht die Phase militärischer Auseinandersetzungen, sondern die darauffolgende Stabilisierungsphase betrachtet. Aufständische werden wesentlich dadurch bekämpft, dass ihre Verankerung in der Zivilbevölkerung zerstört wird. Bei militärischen Handlungen wird die Gesamtwirkung, nicht nur die rein militärische, berücksichtigt, und sie sollen möglichst wenig gewalttätig sein. Weiterhin wird die Oil-Spot-Strategie verfolgt, bei der kleine, langsam erweiternde, zivil-militärisch gesicherte Bereiche hergestellt werden und der Rest des Einsatzgebiets von sehr mobilen Einheiten eher militärisch bearbeitet wird.
In Afghanistan hat der Verlust von Soldat_innen im Verlauf des Einsatzes dazu geführt, dass in der Praxis eine wesentlich statischere Strategie mit Befestigungen und Unterstützungseinheiten genutzt wurde. Parallel beschäftigte sich die Militärtheorie damit, Ziel und Umfang von Militäreinsätzen weiter zu begrenzen und sie kategorisch den vor Ort herrschenden Strukturen unterzuordnen. Der Widerspruch, dass die vor Ort herrschenden Strukturen nicht dazu in der Lage sind, zugrundeliegende Konflikte zu lösen – obwohl das als klares Ziel von Operationen gesetzt ist –, wird dabei nicht aufgelöst.
Ich hab mich bisher gar nicht mit militärischer Aufstandsbekämpfung beschäftigt. Spannend fand ich wie selbst aus bürgerlicher Sicht Militär, Polizei, Verwaltung und soziale Einrichtungen gleichermaßen Elemente von Aufstandsbekämpfung sind und im Gegenzug die Grenzen zwischen militärischen Gegner_innen und Zivilbevölkerung verwischt werden. Wobei sich das in diesem Fall nur auf Auseinandersetzungen »woanders« bezieht, wo durch die Oil-Spot-Methode zwar punktuell ein zu schützendes Drinnen und ein Draußen, in dem frei militärisch verfahren werden kann, erzeugt wird. Die Sicherheit ist dabei aber eine Illusion, da auch das Drinnen weiterhin Teil des Einsatzgebiets ist und jederzeit ohne große politische Konsequenzen aufgegeben werden kann.
Anders verhält es sich mit Verlusten unter eigenen regulären Soldat_innen, die haben einen starken Einfluss auf die politische Einsatzbereitschaft eines Militärs. Allgemein erscheint mir Militär politisch und industriell weiterhin hochrelevant, in eigentlichen militärischen Auseinandersetzungen aber beeindruckend unfähig. Das ist vielleicht auch vor dem Hintergrund von ACOUPs aktuellen Texten zum Strategiespiel Victoria II, vor allem den darüber wie Krieg sich durch die industrielle Revolution im Vorfeld des Ersten Weltkriegs verändert hat.
Und zuletzt frage ich mich wie Aufstandsbekämpfung im Kernland aussieht und wie dort das Verhältnis zwischen Aufständischen und Zivilbevölkerung aus reaktionärer Sicht aussieht. Passend dazu hab ich mich vor einiger Zeit durch eine Folge des anarchistischen Podcasts Übertage mit dem maoistischen Volkskrieg-Konzept beschäftigt.
]]>Vorneweg: Emanzipatorischer Wandel bezieht sich für mich auf Menschen und soziale Zusammenhänge; es geht nicht darum, welche Pflanzen wo wachsen, welche Gebäude wo stehen oder wie viel von welchem Stoff in der Luft ist. Was einen Baum pflanzen zu einer befreiten Gesellschaft beiträgt, bestimmt der soziale Rahmen in dem er gepflanzt und gepflegt wird, nicht die Art des Baumes, und auch nicht sein Standort. Ein gesprengter Knast im luftleeren Raum ist kein Schritt zu einer Gesellschaft ohne Knäste – eine militante Bewegung, die Knastsprengungen vornimmt, vielleicht aber schon.
»Mehr (politisch) schaffen« kann dann also heißen, andere Menschen stärker zu beeinflussen. Zu denken, dass eine bestimmte politische Handlung andere besonders stark beeinflusst, ist meiner Meinung nach aber eine falsche Wahrnehmung. Sie beruht darauf, die Voraussetzungen, den Kontext oder den Beitrag anderer zu unter-, oder das Ergebnis zu überschätzen. Aber selbst wenn es solche besonders wirksamen politische Handlungen gäbe, wären sie für mich nicht von Herrschaft über andere zu unterscheiden. Das ist der für mich zentrale und einigermaßen neue Gedanke: Durch politische Handlungen andere Menschen stärker beeinflussen zu wollen ist Streben nach Herrschaft über andere.
»Mehr (politisch) schaffen« kann auch heißen, eine größere Menge Menschen zu beeinflussen. Dieses Ziel finde ich auch problematisch, da es sehr einseitige Beziehungen und Kommunikation voraussetzt, und eine Gesellschaft, in der eine einzelne politische Handlung für viele oder alle Menschen ohne weitere Vermittlung oder Aushandlung (eine ähnliche) Bedeutung hat. Ich denke aber nicht, dass wir in einer solchen Gesellschaft leben, und ich strebe es auf jeden Fall nicht an.
»Mehr (politisch) schaffen« kann aber auch heißen, individuell mehr Arbeit zu investieren, oder auch: mehr Selbstausbeutung und weniger Nachhaltigkeit. Auch nicht schön.
Zusammengefasst basiert die Vorstellung, ich könnte »mehr schaffen«, also – zumindest für mich – auf Annahmen, die ich falsch oder nicht erstrebenswert finde: Herrschaft über andere, einseitige Beziehungen und Einbahnstraßenkommunikation in eine Menge von Nicht-Individuen, oder Selbstausbeutung. Ich finde es für mich wichtig, an diesem Beispiel zu erkennen, wie sich gesellschaftliche Machtmechanismen die ich eigentlich bekämpfe in meiner Ideenwelt niederschlagen.
Unabhängig davon, worauf genau sie beruht, ist die Illusion, ich könnte irgendwie politisch effektiver sein als ich es bin, aber auch eine (All-)Machtphantasie. Wie andere Machtphantasien hat sie auch die Funktion, mich in meiner relativen Untätigkeit und realen Machtbeschränktheit zu beruhigen und tatsächliche oder tatsächlich mögliche politische Handlungen abzuwerten.
Beim Schreiben hab ich mich gefragt ob andere Menschen überhaupt diesen Gedanken von »mehr schaffen müssen« haben. Wie ist das bei euch so, beschäftigt euch die Frage?
]]>Gleichzeitig ist während einer Pandemie öffentliches, gemeinsames Gedenken und Erinnern aber auch schwieriger. Viele Veranstaltungen werden ausfallen oder eingeschränkt stattfinden, viele Menschen werden nicht durch die Stadt fahren oder sich in Gruppen begeben wollen. Anstelle der traditionellen antifaschistischen Demonstration in Moabit, die ich seit vielen Jahren besuche, wird es dieses Jahr nur eine Kundgebung geben, und die Anreise möchte ich gerne vermeiden. Daher habe ich alternative Möglichkeiten des Gedenkens in Berlin gesammelt.
17:00: Die F_AJOC lädt zu einem Spaziergang zu Orten der Verbrechen in Charlottenburg.
17:00: Die Linke ruft zu einem Gedenkgang zu den in Kaulsdorf verlegten Stolpersteinen auf.
11:00: BVV und Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg laden zum stillen Gedenken an der Synagoge Fraenkelufer.
Die alljährliche Kranzniederlegung des Bezirksamts wird dieses Jahr »im kleinen Kreis« stattfinden.
17:OO Der VVN-BdA Lichtenberg lädt zu einem Stolpersteinspaziergang.
17:00: Der DGB lädt zum gemeinsamen Stolpersteinputzen ein.
18:30: Die traditionelle, antifaschistische Kundgebung vor dem Mahnmal in der Levetzowstraße mit Musik und Redebeiträgen. Die Vorbereitungsgruppe hat wie jedes Jahr eine Broschüre herausgebracht, die Erinnerung mit aktuellen antifaschistischen Beiträgen verbindet.
11:00: Die Linke lädt zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.
12:00: Die Linke lädt zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee.
16:30: Es gibt eine gemeinsame S-Bahn-Anreise zu einer Kundgebung gegen eine AfD-Kundgebung in Bernau.
17:30: Das Bezirksamt lädt zu einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die zerstörte Synagoge in der Münchener Straße 36.
16:00: Die Linke legt wie jedes Jahr öffentlich einen Kranz an der Spiegelwand beim S+U Rathaus Steglitz nieder.
17:00: Der DGB lädt zum gemeinsamen Stolpersteinputzen ein.
18:00: DIE VIELEN ruft zu einer Menschenkette und Kundgebung am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas unter dem Motto „Schützt das Denkmal“ auf. Bauarbeiten der Deutschen Bahn bedrohen den Gedenkort an seinem aktuellen Standort.
17:00: Der DGB lädt zum gemeinsamen Stolpersteinputzen ein.
Stolpersteine sind zwar nicht unumstritten, aber sie sind real die sichtbarste und weitverbreitetste Form der Erinnerung in Berlin. In der Wikipedia gibt es eine Liste der Stolpersteine in Berlin mit weiterführenden Links. Am 9. November bietet es sich an, Stolpersteine zu putzen (Anleitung als PDF), Kerzen anzuzünden oder Blumen niederzulegen.
Die Omas gegen Rechts planen eine Mahnwache.
Bitte schreibt mir Ergänzungen und Korrekturen!
]]>Ich benutze »queer« aus Mangel an Alternativen, obwohl weder ich noch die meisten an die ich beim schreiben denke einen Bezug zu der Komplexität dieses Begriffs und seiner Nutzung zur – gerade auch rassistischen – Abwertung und Ausgrenzung sowie Aneignung durch mehr und weniger Betroffene haben. Ich bin sehr offen für Alternativen, im Moment denke ich zum Beispiel über »schräg« (zu allgemein) und »andersrum« (zu spezifisch) nach.
Es war meine politische Überzeugung, dass Identität etwas ist, über das eine Person völlige Definitionshoheit hat. Von außen kamen nur die Konzepte und Begriffe, um diese Identität zu beschreiben. Was beschreibbar ist, formte in meiner Vorstellung selbstverständlich mit, was denkbar ist, änderte aber nichts daran, was wahr ist. Wenn das Außen queere Identitäten mit Gewalt zuwies, war das nur Gewalt. Wie Menschen mit ihrer Identität umgehen, wie viel sie davon erkennen und wie viel nach außen tragen war eine andere Sache.
Wer so oder ähnlich denkt, hält Queersein für etwas, von dem sich Menschen selbst überzeugen müssen – für manche ist das sehr einfach, für andere sehr schwer. Es bedeutet, dass eine queere Person diese Überzeugung selbst aufbringen und halten muss. Zusätzlich zu der Belastung, nicht den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen, müssen viele Queers auch noch ständig Energie dafür aufwenden, sich selbst zu glauben wer sie sind.
Dabei spielen bekannte, sichtbare, normierte Formen queerer Identität eine zwiespältige, vielfältige Rolle. Sie helfen eigentlich nur denen, die eine solche Identität haben und sich mit der Art auf die sie dargestellt wird wohl fühlen. Für die bietet es eine dringend nötige externe Bestätigung und Sicherheit. Anders ist das für Menschen, deren Identität relativ präsent ist, aber nicht so dargestellt wird wie sie sie leben oder leben wollen. Dass ihre Identität bekannt und sichtbar ist, bestätigt nicht, sondern verunsichert zusätzlich. Menschen, deren Identität selbst in queeren Öffentlichkeiten kaum präsent ist, sind weitgehend auf sich allein gestellt, was das Aufbringen innerer Überzeugung angeht.
Ein kleiner Einschub: Statt die eigene Identität anzuzweifeln orientieren sich viele auch an diesen bekannten Identitätsausdrücken – sie normieren und vereindeutigen sich selbst. Das ist auch ein Teil von »Queer Imposter Syndrome«.
Solche Normen beeinflussen nicht nur, wie Menschen sich fühlen und verhalten, sondern auch, wie und ob sie wahrgenommen werden. Wer diesen Normen nicht entspricht, dessen queere Identität wird häufig übersehen. Das betrifft zum Beispiel Bisexuelle, deren Bisexualität unsichtbar gemacht wird, feminin auftretende Lesben und queere Frauen, oder Lesben und Schwule die romantische oder sexuelle Beziehungen nicht nur mit Frauen bzw. Männern haben. Nicht als queer gesehen zu werden ist aber nicht nur etwas, das Menschen gegen ihren Willen passiert, sondern für viele auch essenzielle Sicherheitsvorkehrung. Egal ob selbstbestimmt oder nicht – wenn die eigene Identität von anderen nicht wahrgenommen wird, muss die Bestätigung dieser Identität um so mehr von eine*r selbst kommen, was wieder Zweifeln einen Raum bietet.
Insgesamt zweifele ich gerade ziemlich an dem emanzipatorischen Wert normierter queerer Identitäten. Mein Gefühl ist eher, dass sie dazu dienen, dem Abweichendsein einen Rahmen vorzugeben und im Gegenzug in allen anderen Bereichen Heteronormen durchzusetzen – »Stück für Stück ins Homoglück«.
Was die Sache erschwert, ist der sehr reale Unterschied zwischen Identität und Erfahrungen. Als Hetera gelesen werden, als Mann behandelt werden oder für weiß gehalten werden sorgt dafür, dass Menschen nicht die selben (negativen) Erfahrungen machen wie viele (andere) Lesben, Frauen bzw. Schwarze und PoC. Diese Erfahrungen nicht zu teilen gibt den Selbstzweifeln eine argumentative Grundlage: Wie kann ich für mich selbst »entscheiden«, eine bestimmte marginalisierte Identität zu haben, wenn ich gar nicht auf die Art unter ihr leide oder gelitten habe wie die anderen? Noch schlimmer, wenn dieses Passing nicht unfreiwillig passiert(e), sondern teilweise als Selbstschutz aktiv angestrebt wird oder wurde.
Die einfache Antwort ist, dass aus einer gemeinsamen Identität eben nicht identische Erfahrungen folgen – jede Person ist anders und erlebt andere Dinge. Das ist richtig, aber zu einfach: Was Menschen in dieser Hinsicht dazu bringt, ihr Queersein in Frage zu stellen, sind nicht (fehlende) Erfahrungen anderer Queers allgemein, sondern konkret fehlende negative Erfahrungen, nicht erlebte Gewalt und Abwertung. Queersein ist in der Vorstellung vieler so eng mit Gewalt erfahren verknüpft, dass sich manche Menschen ihre eigene Identität nicht glauben, wenn sie nicht so wie andere leiden.
Das sollte nicht so sein: Gewalt und Abwertung erleben ist vielleicht ein wesentlicher Teil queerer Erfahrung und kollektiver Erinnerung, aber kein verpflichtender Teil queerer Identität. Stattdessen könnten ja auch positive Aspekte wie Gemeinschaft oder Begehren queere Identität stabilisieren (und sind es für viele bestimmt auch).
Bevor ich über meine eigenen Erfahrungen schreibe, möchte ich nochmal klarstellen: Diese Gedanken sind vielleicht üblich, es ist ok sie zu haben. Sie sind aber trotzdem falsch und selbstverletzend. Würdet ihr einer lieben Freundin sagen dass sie nicht queer genug ist? Diese Gedanken stützen sich auf die Idee, dass Queer sein Gewalt erleben bedeutet, auf Sexismus, auf Cis-Sexismus, Hetero-Sexismus, auf normative Vorstellungen von Begehren, Identität, von Queersein. Sie haben nicht recht.
Und obwohl ich das weiß, konnte ich für mich selbst eine queere Identität nicht nur aufgrund innerer Überzeugung annehmen. Ich musste erst aufgrund meiner Selbstwahrnehmung und meines Auftretens negative Erfahrungen machen und unter ihnen leiden, um queere Identitäten für mich zu beanspruchen.
Ich trage mittlerweile seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten lange Haare, Nagellack und ausschließlich Röcke oder Kleider. Mir war immer klar, dass das gefährlich ist, ich hatte immer Ärger damit, aber ich habe das Wissen um diese Gefahr geradezu mit Stolz getragen, habe mich bis auf wenige Ausnahmen nicht davon einschränken lassen und bin keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen.
Ich weiß nicht, ob sich mein Auftreten verändert hat oder nur wie ich meine Erfahrungen bewerte. Da gab es die eine Woche, an deren Ende ich bemerkte, dass es keinen Tag ohne sexistischen Kommentar, Beleidigung, Pöbelei gab. Da war der Moment als ich die fragenden und provozierenden Kinder aus der Grundschule an der Ecke nicht mehr lustig fand, sondern Angst vor ihnen hatte. Da waren die Termine zu denen ich viel zu spät kam, weil ich nicht einfach irgendwas aus dem Schrank nehmen und anziehen konnte. Da war der Gedanke, dass ich das eine oder andere Kleid vielleicht einfach nicht mehr alleine in der U-Bahn tragen möchte. Da war die Erkenntnis, dass ich nicht einfach auf OkCupid eine Hetera kennenlernen und davon ausgehen könnte, grundsätzlich kompatible Vorstellungen einer romantischen oder sexuellen Beziehung zu haben.
Das führt zu der paradoxen Situation, dass ich mehr in der Lage bin mir meine Identität selbst zuzugestehen, je weniger ich mich frei fühle, sie auszudrücken. Ich konnte erst anfangen, die Ressourcen die Queers für sich geschaffen haben – wie zum Beispiel Selbstbezeichnungen – in Anspruch zu nehmen, als ich anfing, auf mich bezogene Queerfeindlichkeit nicht nur zu erleben, sondern auch unter ihr zu leiden. Ich konnte mich erst davon überzeugen, kein heterosexueller Cis-Mann zu sein, als mir die Welt da draußen unmissverständlich mitteilte, dass ich in ihren Augen keiner bin.
Christian Schmacht hat eine frühere Version dieses Textes gelesen und wertvolle Kommentare abgegeben, die ich teilweise eingearbeitet habe. Danke dafür!
Ich habe während des Schreibens einige Texte – leider alle englischsprachig – gelesen in denen Leute aus unterschiedlichen Perspektiven über Queer Impostor Syndrome schreiben:
In selbstorganisierten Gruppen ist es meiner Erfahrung nach üblich, dass es kaum formale Regelungen dafür gibt, wie und auf welche Art alle sich beteiligen. Manchmal ist die regelmäßige Teilnahme am Plenum oder vielleicht die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe verpflichtend. Wer wie viel redet wird vielleicht mit Redeliste und Moderation in einem gewissen Rahmen gehalten. Als Gegenbeispiel kenne ich in Plena sogenannte »Runden«, bei denen alle dazu angehalten sind, etwas zu einem Thema oder einer Frage zu sagen (idealerweise haben dabei langsamere Menschen genug Zeit zum Denken und Reden, und dominantere werden durch eine gewisse zeitliche und thematische Vorgabe begrenzt).
Bei Selbstorganisierung werden anstehende Aufgaben oft freiwillig übernommen. Bei Aufgaben die als schwierig, wichtig oder voraussetzungsvoll angesehen werden heißt das meistens, dass sie von denen gemacht werden, die sich mit dem Thema schon auskennen oder beschäftigt haben, die Zeit haben, die sich die Aufgabe unmittelbar zutrauen zu übernehmen, die die nötigen Kontakte haben. Andere Aufgaben werden dann von denen erledigt, die sich die »schwierigen/wichtigen« Aufgaben nicht zutrauen, die ein schlechtes Gewissen haben, die darunter leiden würden wenn etwas nicht passieren würde, die es für selbstverständlich halten, anstehende Aufgaben zu erledigen. Diese Verteilung reproduziert sich selbst, denn wer sich mit einem Thema beschäftigt, findet in diesem Bereich immer wieder neue Aufgaben und ist dank gesammelter Erfahrung und Selbstvertrauen auch immer wieder die geeignetste Person, diese zu erledigen.
Dieses Muster ist schlecht für Gruppen: Es konzentriert Wissen und Erfahrung in Einzelnen, die schwer ersetzbar werden; Es erschwert das Entstehen gemeinsamer Vorstellungen in der Gruppe, da Erfahrungen und Zugänge zu Fragestellungen unterschiedlich und auf Einzelne beschränkt bleiben. Es ist auch schlecht für Einzelpersonen, da sie über Gruppen hinweg immer wieder in den selben Rollen landen und keine Erfahrungen und kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sammeln können. Zuletzt ist es auch gesamtgesellschaftlich schädlich, da es Expert_innentum und darausfolgend Expert_innenlösungen produziert.
Dabei gibt es noch ein paar spannende Details, die selbst bei irgendwie »gleicher« Verteilung Unterschiede reproduzieren, weil sie Ungleiches gleich erscheinen lassen. Zum Beispiel könnte eine Gruppe gemeinsam eine Aufgabe übernehmen, aber die Unteraufgaben wieder unterschiedlich verteilen. Oder immer die selben machen eine neue Aufgabe am Anfang, und immer die selben übernehmen sie dann, werden eingewiesen und machen sie wie vorgegeben weiter. Oder Menschen übernehmen eine Aufgabe immer in einem bestimmten Kontext, zum Beispiel in dem sie nur sonntags kochen oder nur die Vollversammlung moderieren.
In Lebensgemeinschaften, Familien, WGs, gemeinsamen Haushalten versuchen Leute häufig bewusst, Aufgaben nach einem gewissen Schlüssel zu verteilen. Oft streben sie eine Gleichverteilung der Belastung an, die sie über die Zeitdauer, die etwas braucht, messen – oder realistischerweise: schätzen. Dabei fällt zum Beispiel unter den Tisch, wie viel Arbeit es macht, anstehende Aufgaben im Kopf zu behalten, Unerledigtes wahrzunehmen oder in Bereitschaft zu sein. Auch, wie anstrengend oder regenerierend Tätigkeiten jeweils sind, wird beim Vergleich über die Zeitdauer nicht berücksichtigt. Es gibt einen sehr großartigen Comic von Emma dazu: »You should have asked«. In der Ausgabe der an.schläge ist der Artikel »Fingernägel & Mental Load – Die neuen Väter sind oft auch nicht besser.« von Lea Susemichel abgedruckt, der diesen Umstand auch gut beschreibt. Auch diese Verhältnisse lassen sich glaube ich nicht durch frei(willig)e Verteilung von Aufgaben verändern.
Sich um eine andere Person direkt kümmern machen Menschen auch unterschiedlich viel, und dass das tendenziell nicht zufällig verteilt sondern zum Beispiel geschlechtsspezifisch ist sollte klar sein. Auch hierbei reicht es meiner Meinung nach aber nicht, Fürsorge irgendwie mengenmäßig zu betrachten. Eine Person kann sich zum Beispiel sehr viel um andere kümmern, aber sich dabei auf Menschen die neu in ihrem Leben sind konzentrieren; oder die Menschen denen es gerade gut geht; oder die Menschen denen es gerade schlecht geht. Diese Verhaltensweisen tendieren alle dazu, unausgewogene Beziehungen zu produzieren. Menschen können sich auch im Alltag sehr großartig um Andere kümmern, aber in Krisen immer von den Anderen erwarten, dass sie die Situation auflösen. Und es gibt auch wieder mehr und weniger wahrnehmbare Arten, für andere Menschen emotional zu sorgen: Ständig andere mitdenken ist sehr anstrengend, wirkt aber nicht wie Arbeit. Ein intensives Gespräch über die Probleme einer Person führen bleibt in Erinnerung, auch wenn es nur kurze Zeit Arbeit bedeutet. Ich habe noch keine Idee, durch was für Strukturen sich solche Verhältnisse aufbrechen lassen.
Karl Marx schrieb: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« Das ist immer noch meine Utopie, aber was Menschen an Fähigkeiten erwerben, was sie für ihre Bedürfnisse halten und wie viel Komfort sie erwarten ist nicht zufällig verteilt. Da gibt es viel zu v_erlernen und viele Gewohnheiten aufzubrechen.
Was für gleichmachende Regelungen benutzt ihr so (nicht)? Kennt ihr gute Texte oder Vorträge, die sich mit diesem Zwiespalt auseinandersetzen?
]]>Allgemein sind die Männer-Figuren vielschichtig, sie haben verschiedene Fehler und Probleme; die Serie lässt sie aber so sein wie sie sind, ohne ihre Probleme in den Mittelpunkt zu rücken, ohne sie retten oder heilen zu müssen, und ohne ihnen deshalb ihren Wert abzusprechen oder sie auf ihre Probleme zu reduzieren. Jonathan Byers darf ein nerdiger High-School-Outcast bleiben, und muss nicht zum Liebling aller werden. Billy Hargrove kann Gewalt erfahren und ausüben, ohne dass seine Stellung eindeutig geklärt wird – es ist eben kompliziert, und muss trotzdem nicht gelöst werden.
Im Kontrast dazu erscheinen mir zwei Arten von Männerrollen in populärer Kultur stark überrepräsentiert. Zum einen ist da die ungebrochene, unhinterfragt dominante Männlichkeit. Das sind Männer, die Führungsrollen und vollständige Aufmerksamkeit beanspruchen und diesen Anspruch konsistent durch entsprechendes (hyper-männliches) Verhalten rechtfertigen. Solche Männer durchlaufen Krisen und können böse sein, aber es steht nie in Frage, weshalb sie Hauptperson eines Films oder einer Serie sind. Sie sind wer, sie gestalten ihre Welt, sie retten oder versuchen zu zerstören.
Wie eine Antwort darauf erscheint mir die defizitäre, dominante Männlichkeit. Das sind Männer, die gerade keine solchen Eigenschaften haben, aber trotzdem eine Hauptrolle beanspruchen (und bekommen). Es sind alltägliche(re), realitätsnahe(re) Personen, deren Erleben jedoch dargstellt wird als wären sie Super-Helden und -Bösewichte. Das archetypische Beispiel für diese Art der Darstellung von Männlichkeit ist für mich Tom Cruise als Ray Ferrier in Steven Spielbergs Krieg der Welten. Ray ist – vor allem als Vater – gescheitert. Er leistet, wie der Rest der Menschheit, keinen relevanten Beitrag zur Bekämpfung der Bedrohung. Dennoch ist er unhinterfragt als Hauptperson und Held der Geschichte, als würde er in Will-Smith-Manier am 4. Juli den entscheidenden Schlag gegen die außerirdische Invasion durchführen. Tom Cruises Charakter wirkt wie ein Versöhnungsangebot Hollywoods an all die Männer, die sich an den ansonsten angebotenen über_mensch_männ_lichen Rollenbildern messen und zwangsweise daran scheitern müssen. Anstatt mit der grundsätzlichen Idee männlichen Führungsanspruchs zu brechen, ist die Botschaft jedoch, dass alle Männer es verdienen, wie Held_innen behandelt zu werden, selbst wenn sie es nicht mal hinkriegen, ein Brot für ihre Kinder zu schmieren.
Eine Person, die ich sehr mochte, ist Steve Harrington. Zu Beginn wirkt er wie ein typischer High-School-Bully. Anders als andere Protagonisten, die so anfangen, ändert er sein Verhalten jedoch nicht durch und für eine romantische Beziehung (auch wenn die den Anstoß bietet), sondern aus eigener Überzeugung. Seiner Entwicklung wird weder in der Serie noch in der Handlung großer Raum geboten, und weder Zeitgenoss_innen noch Zuschauer_innen müssen viel emotionale Arbeit investieren, einen gewalttätigen Unsympathling in einen Helden zu verwandeln. Diese Arbeit wird ihm selbst überlassen, und er kann sie auch alleine übernehmen, da er sich nicht für etwas verändert. Außerdem – und das ist bei Stranger Things von großer Relevanz – nimmt Steve die Kinder ernst.
Einer der wenigen Erwachsenen die das auch tun (nach Joyce Byers) ist Jim Hopper. An Jim mag ich, dass seine Rolle eine große Entwicklung durchmacht, ohne dass er als Person sich verändern muss; er ist ausreichend vielschichtig gezeichnet, um viele unterschiedliche und widersprüchliche Interaktionen und Verhaltensweisen zu ermöglichen. Außerdem hat er große Probleme, ohne dass er ausschließlich darüber definiert wird oder es wie eine unglaubwürdige Ergänzung, um ihn mit mehr Tiefe zu versehen, wirkt. Eine Fähigkeit, die ich besonders an ihm mag, ist, dass er Leute ernst nimmt, seien es die Kinder, die Jugendlichen oder Joyce – auch Leute, denen er in dem Moment nicht glaubt.
Ted Wheeler ist der Hauptgrund für diesen Blogpost. Ted ist eine Nebenfigur. Er ist kein großartiger Vater, er ist wahrscheinlich kein großartiger Ehemann. Er bemerkt nicht viel, er reagiert nicht besonders, er vertraut Behörden. Ted wird eindeutig als mangelhaft dargestellt, aber die Serie hält es aus, ihn so zu lassen wie er ist. Er muss nicht über sich hinaus wachsen, er muss kein Bösewicht werden, er muss nicht als moralisch verkommen dargestellt werden. Er ist ein gewöhnlicher Mensch, keine unabgeschlossene Aufgabe auf der Todoliste der Serienmacher_innen.
Was dabei leicht untergeht: Ted hat wesentliche positive Eigenschaften, die vielen Männern – gleich ob Helden oder heldenhaften Versagern – abgehen: Er ist konsistent und vorhersehbar. Manipulative Beziehungen zeichnen sich häufig nicht dadurch aus, dass eine Person eine andere permanent schlecht behandelt, sondern, dass sie willkürlich und unvorhersehbar handelt. Über Ted wird keine_r sagen müssen dass er doch auch gute Seiten habe oder doch auch ganz nett sein kann. Keine_r muss sich Hoffnungen machen dass Ted doch irgendwann wieder so wird wie früher. Keine_r muss sich verzweifelt bemühen, Ted alles recht zu machen, um doch immer wieder enttäuscht zu werden.
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